bwp@ Spezial AT-3 - September 2021

Wirtschaftspädagogik in Österreich 2021

Beiträge zum 14. Österreichischen Wirtschaftspädagogikkongress

Hrsg.: Peter Slepcevic-Zach & Susanne Kamsker

Entwicklung und Evaluation von Lernvideos für den Englischunterricht

Beitrag von Marlene Wagner & Detlef Urhahne
Schlüsselwörter: Lernvideos, Usability, Evaluation, Englischunterricht, Lernerfolg

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden Lernvideos für den Englischunterricht entwickelt. Die sechs Lernvideos zu verschiedenen Themen der englischen Grammatik wurden in vier unterschiedlichen Untersuchungsbedingungen in neunten Klassen der Realschule erprobt. Die Schülerinnen und Schüler (N = 848) bewerteten die Lernvideos im Hinblick auf ihre Usability (Gebrauchstauglichkeit) und ihre Wirkungen auf das Engagement und den subjektiv wahrgenommenen Lernerfolg. Der objektive Lernerfolg wurde anhand eines Grammatiktests im Vergleich von Vortest zu Nachtest bestimmt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler den Einsatz von Videos als durchschnittlich bis tendenziell positiv beurteilten. Zwischen den vier Untersuchungsbedingungen zeigten sich signifikante Unterschiede in der Bewertung der Videos. Außerdem konnte ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem objektiven Lernerfolg und dem Engagement bzw. dem subjektiven Lernerfolg nachgewiesen werden.

Development and evaluation of learning videos for the EFL classroom

English Abstract

In the present study, we developed learning videos for the EFL classroom in secondary school. The six learning videos on different topics of English grammar were tested in four different experimental conditions in ninth grades. Students (N = 848) evaluated the learning videos in terms of their usability and their effects on engagement and subjectively perceived learning outcomes. Objective learning outcomes were determined using a grammar pre- and posttest. The results show that students rated the use of videos as average to tendentially positive. Significant differences in video ratings were evident between the four experimental conditions. In addition, a significant positive relationship was found between objective learning outcomes and engagement as well as subjectively perceived learning outcomes.

1 Einleitung

Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Schulschließungen stellten für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und deren Eltern eine enorme Herausforderung dar (vgl. Voss/Witwer 2020, 601). Wie eine repräsentative Umfrage in Deutschland ergab, stellte der Großteil der Lehrkräfte Schülerinnen und Schülern, in der Zeit als der Unterrichtsbetrieb ausgesetzt war, Lernmaterialien in digitaler Form zur Verfügung (vgl. Vodafone Stiftung 2020, 3). Aus den Befunden des Schul-Barometers in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Huber et al. 2020, 91) geht jedoch hervor, dass bei Schülerinnen und Schülern ein erhöhter „Unterstützungsbedarf in Form von Erklärungen und Hilfestellungen zu den zu bearbeitenden Aufgaben“ vorhanden war. Um diesem Bedarf besser nachzukommen, könnten vermehrt selbsterklärende Lernvideos eingesetzt werden. 

Empirische Befunde deuten darauf hin, dass Lernende den Einsatz von Lernvideos durchaus positiv beurteilen (vgl. Alpert/Hodkinson 2018; Debajyoti/Syamal, 2020; Kay 2012; Sailer/Figas, 2015; Valenti/Feldbush/Mandernach 2019). Die Mehrheit bisheriger Studien zielte jedoch auf Lernende im tertiären Bildungsbereich und nicht aus allgemein- oder berufsbildenden Schulen. Von diesem Forschungsdesiderat ausgehend beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Frage, wie Schülerinnen und Schüler den Einsatz von Lernvideos im Unterricht – konkret deren Usability (Gebrauchstauglichkeit) sowie deren Auswirkungen auf das Engagement und den subjektiv wahrgenommenen Lernerfolg – bewerten. Lernvideos können nicht nur in Zeiten von Distanzlernen bzw. als Teil von Hausaufgaben, sondern auch im Präsenzunterricht integriert werden. Weiterhin können Lernvideos sowohl in einem lehrerzentrierten als auch in einem schülerzentrierten Unterricht eingesetzt werden. Es stellt sich die Frage, ob die Art des Einsatzes (zuhause vs. in der Klasse; lehrerzentriert vs. schülerzentriert) einen Einfluss auf die Bewertung der Lernvideos nimmt. Darüber hinaus interessiert, ob sich Zusammenhänge zwischen der subjektiven Bewertung der Lernvideos und dem objektiven Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler zeigen.

2 Theoretischer und empirischer Hintergrund

2.1 Videobasiertes Lernen

Lern- bzw. Erklärvideos können von Unterhaltungsvideos dahingehend unterschieden werden, dass sie das Ziel haben, Lernenden bestimmte Konzepte oder Verfahren näher zu bringen (vgl. De Koning/Hoogerheide/Boucheix 2018, 395). Da Lernvideos sowohl visuelle Informationen (in Form von stehenden oder bewegten Bildern) als auch verbale Informationen (gesprochener oder geschriebener Text) beinhalten, stellen sie eine multimediale Lernumgebung dar (vgl. Fiorella/Mayer, 2018, 465). In den letzten dreißig Jahren wurden umfangreiche Forschungsarbeiten im Bereich des multimedialen Lernens durchgeführt. Kognitionspsychologische Theorien wie Mayers kognitive Theorie des multimedialen Lernens (Mayer 2014) und Swellers Theorie der kognitiven Belastung (Chandler/Sweller 1991; Sweller 1994; Sweller 2010) bieten einen theoretischen Rahmen, um zu beschreiben und zu verstehen, wie Lernen mit multimedialen Inhalten funktioniert. Mayers (2014) kognitive Theorie des multimedialen Lernens basiert auf drei zentralen Annahmen:

  1. Annahme zweier Kanäle: Die kognitive Verarbeitung findet in zwei separaten Kanälen statt. Auditorische und verbale Informationen (gesprochener oder geschriebener Text) werden im verbalen Kanal und visuelle Informationen (Bilder) werden im visuellen Kanal verarbeitet.
  2. Annahme beschränkter Kapazität: Beide Verarbeitungskanäle besitzen eine beschränkte Kapazität.
  3. Annahme aktiver Informationsverarbeitung: diese umfasst drei Arten von Verarbeitungsvorgängen. Zunächst werden im sensorischen Gedächtnis die relevanten Informationen ausgewählt. Anschließend werden die ausgewählten Inhalte im Arbeitsgedächtnis organisiert und schließlich werden die Informationen mit dem Vorwissen aus dem Langzeitgedächtnis integriert.

Swellers Theorie der kognitiven Belastung (Chandler/Sweller 1991; Sweller 1994; Sweller 2010) unterscheidet zwischen drei verschiedenen Arten kognitiver Belastung im Arbeitsgedächtnis. Die intrinsische kognitive Belastung entsteht durch die Komplexität des Lernmaterials; diese kann prinzipiell nicht manipuliert werden, außer die Inhalte an sich werden verändert oder die Inhalte werden an das Vorwissen der Lernenden angepasst. Die extrinsische kognitive Belastung entsteht durch das Instruktionsdesign selbst, z.B. wenn die Lernenden eine unnötig große Menge an Informationen gleichzeitig verarbeiten müssen. Die lernprozessbezogene Belastung bezieht sich auf die kognitiven Ressourcen, die für den Wissenserwerb benötigt werden, z.B. für den Erwerb von Schemata. Die drei Arten der kognitiven Belastung sind summativ zu verstehen und das Ziel sollte es sein, die extrinsische Belastung möglichst gering zu halten.

Basierend auf diesen beiden Theorien und einer großen Anzahl empirischer Befunde wurden Prinzipien für die Gestaltung von Multimedia-Lernumgebungen, wie beispielsweise auch Lernvideos, entwickelt. Das Multimedia-Prinzip – welches besagt, dass Menschen besser durch eine Kombination von Text und Bild lernen als durch Text alleine – bildete den Ausgangspunkt für weitere Forschungen, in denen untersucht wurde, wann, wie, warum und unter welchen Bedingungen der Einsatz von Multimedia das Lernen fördert. Einige wichtige Prinzipien, welche auch für die Gestaltung von Lernvideos herangezogen werden können, sind in Tabelle 1 dargestellt. Die berichteten mittleren Effektstärken basieren auf einer von Mayer (2017, 406ff.) durchgeführten metaanalytischen Untersuchung. Wenn diese Gestaltungsprinzipien in Lernvideos Berücksichtigung finden, wird ein positiver Effekt auf den Lernerfolg angenommen. 

Tabelle 1:       Gestaltungsprinzipien für multimediale Lernumgebungen (Mayer 2017, 406ff.)

Prinzip

Beschreibung

k

d

Multimedia

Menschen lernen besser durch eine Kombination von Wörtern und Bildern als durch Wörter alleine.

5

1.67

Coherence

Menschen lernen besser, wenn irrelevante Informationen reduziert werden.

12

0.70

Signalling

Menschen lernen besser, wenn zentrale Informationen hervorgehoben werden.

20

0.46

Redundancy

Menschen lernen besser aus Grafiken und Erzähltext als aus Grafiken, Erzähltext und Untertitel.

13

0.87

Spatial-contiguity

Menschen lernen besser, wenn Erläuterungen zu einer Grafik direkt neben der Grafik platziert werden.

8

0.79

Temporal-contiguity

Menschen lernen besser, wenn Grafiken und deren Erläuterungen gleichzeitig präsentiert werden.

8

1.30

Segmenting

Menschen lernen besser, wenn Lerneinheiten in kleinere Segmente aufgeteilt werden, die im eigenen Lerntempo bearbeitet werden können. 

12

0.70

Pre-training

Menschen lernen besser, wenn zentrale Schlüsselbegriffe vor der Lerneinheit erklärt werden. 

20

0.46

Modality

Menschen lernen besser, wenn Erläuterungen zu Grafiken als gesprochener und nicht als geschriebener Text präsentiert wird.

51

0.72

Personalisation

Menschen lernen besser, wenn Informationen in einem Gesprächsstil dargeboten werden statt eines formalen Stils. 

17

0.79

Voice

Menschen lernen besser von einer menschlichen Stimme als von einer maschinenähnlichen Stimme.

6

0.74

Embodiment

Menschen lernen besser, wenn die Person im Video menschenähnliche Gesten und Bewegungen verwendet.

14

0.36

Lernvideos weisen jedoch einige Merkmale auf, die sie von anderen multimedialen Lernumgebungen unterscheiden. Da Informationen sowohl im verbalen als auch im visuellen Kanal verarbeitet werden, werden sie auch als dynamische Repräsentationen bezeichnet (vgl. Ainsworth/VanLabeke 2004, 244). Dies bedeutet, dass Lernende kontinuierlich transiente, d. h. vorübergehende Informationen im Arbeitsgedächtnis behalten müssen (vgl. Merkt et al. 2011, 689). Wenn die Informationen sehr komplex oder zu schnell präsentiert werden, kann dies zu einer kognitiven Überlastung und in weiterer Folge zu schlechteren Lernergebnissen führen (vgl. Sweller 2011, 71f.). Eine Möglichkeit, die kognitive Belastung zu verringern, besteht darin, interaktive Funktionen bereitzustellen, mit denen die Lernenden das Tempo oder die Reihenfolge der Informationsdarbietung an ihre geistigen Bedürfnisse und Fähigkeiten anpassen können (vgl. Moreno/Mayer 2007, 319f.; vgl. Schwan/Riempp 2004, 297).

Lernvideos können entweder im Präsenzunterricht oder in Zeiten von Distanzlernen bzw. als Teil der Hausaufgaben eingesetzt werden. Der Einsatz von Lernvideos im Unterricht und zuhause unterscheidet sich im Hinblick auf die Interaktivität. Die Präsentation eines Videos im Unterricht ist systemgesteuert und nicht interaktiv: das Video wird typischerweise auf eine Videoleinwand projiziert und die Lernenden können somit die Informationsdarbietung nicht selbstständig vornehmen (vgl. Merkt et al. 2011, 688). Einige empirische Studien haben gezeigt, dass nicht-interaktive Videos bei der Unterstützung des Lernens weniger effektiv sind als interaktive Videos (Schwan/Riempp 2004; Zhang et al. 2006). Im Gegensatz dazu ist die Präsentation eines Videos zuhause interaktiv und lernergesteuert: die Lernenden können sich das Video selbstständig zuhause anschauen und es so oft anhalten, zurückspulen, vorspulen oder wiederholt betrachten, wie sie möchten. Die Anpassung des Lerntempos sollte sich positiv auf die kognitive Belastung und in weiterer Folge auch auf den Lernerfolg auswirken (vgl. Abeysekera/Dawson 2015, 9).

2.2 Evaluation von Lernvideos für den Unterricht

Wie anfangs bereits erwähnt, deuten empirische Studien darauf hin, dass Lernende den Einsatz von Lernvideos im Unterricht durchaus positiv beurteilen. In der systematischen Übersichtsarbeit von Kay (2012), in welcher insgesamt 53 Originalstudien inkludiert wurden, werden zentrale Vorteile und Nachteile des Videoeinsatzes im Unterricht zusammengefasst. Bei den Vorteilen wird unter anderem auf die positiven affektiven und kognitiven Einstellungen der Lernenden im Hinblick auf den Videoeinsatz im Unterricht hingewiesen. Demnach macht es Lernenden Spaß, sich Lernvideos anzuschauen bzw. empfinden sie es als befriedigend und motivierend. Die Lernenden gaben außerdem an, dass Lernvideos nützlich und hilfreich sind und dass diese den Lernprozess effektiv verbessern können (vgl. Kay 2012, 824f.).

Auch aktuellere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. In der Mixed-Method-Studie von Alpert und Hodkinson (2018, 38ff.) gaben 95 % der Lernenden (N = 773) an, dass sie den Einsatz von Lernvideos in Vorlesungen befürworten, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen: die Dauer der Videos sollte nicht zu lange sein (maximal 20 Minuten) und die Videos müssen gut auf den Kurs bzw. die Vorlesung abgestimmt sein. Auch Lernende im reinen Online-Unterricht sprechen sich für einen vermehrten Einsatz von Erklärvideos aus (vgl. Valenti/Feldbush/Mandernach 2019, 11ff.) bzw. nehmen den Videoeinsatz sogar in Pandemiezeiten als positiv wahr (vgl. Debajyoti/Syamal 2020, 911ff.). Sailer und Figas (2015, 88) konnten in ihrer Untersuchung zur videobasierten Statistiklehre an Hochschulen zudem einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen der subjektiven Bewertung der Lernvideos und den objektiven Lernergebnissen feststellen. Einschränkend muss erwähnt werden, dass sich diese Befunde primär auf Lernende aus dem tertiären Bildungsbereich beziehen.

2.3 Fragestellungen und Hypothesen

Aus den vorangegangenen Überlegungen ergeben sich für die empirische Untersuchung die folgenden vier Forschungsfragen und Hypothesen.

  1. Wie beurteilen die Schülerinnen und Schüler den Einsatz von Lernvideos im Englischunterricht im Hinblick auf deren Usability sowie deren Auswirkungen auf das Engagement und den subjektiv wahrgenommenen Lernerfolg?

H1: Die Schülerinnen und Schüler beurteilen den Einsatz von Lernvideos im Englischunterricht im Hinblick auf deren Usability sowie deren Auswirkungen auf das Engagement und den subjektiv wahrgenommenen Lernerfolg positiv.

  1. Zeigen sich bei der Evaluation der Lernvideos Unterschiede zwischen den vier Untersuchungsbedingungen?

H2: Bei der Evaluation der Lernvideos zeigen sich Unterschiede zwischen den vier Untersuchungsbedingungen.

  1. Welcher Zusammenhang zeigt sich zwischen den Auswirkungen der Lernvideos auf das Engagement und dem objektiven Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler?

H3: Es zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen den Auswirkungen der Lernvideos auf das Engagement und dem objektiven Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Je stärker die Auswirkungen auf das Engagement, desto höher sollte auch der objektive Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler sein.

  1. Welcher Zusammenhang zeigt sich zwischen dem subjektiven und dem objektiven Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler?

H4: Es zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen dem subjektiven und dem objektiven Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Je höher der subjektiv wahrgenommene Lernerfolg, desto höher sollte auch der objektive Lernerfolg sein.

3 Methodik

In dieser Studie werden Daten analysiert, welche im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Flipped-Classroom-Konzept erhoben wurden (Wagner/Urhahne 2021).

3.1 Stichprobe

Die empirische Untersuchung wurde in 38 Englischklassen der 9. Schulstufe in 12 Realschulen in Bayern durchgeführt. Die Stichprobe umfasste insgesamt 848 Schülerinnen und Schüler (52.5 % weiblich), die durchschnittlich 14.85 (SD = .70) Jahre alt waren. Die teilnehmenden Lehrkräfte (68.6 % weiblich) waren durchschnittlich 42.48 Jahre alt (SD = 9.62) und hatten im Mittel eine Berufserfahrung von 15 Jahren (M = 15.37, SD = 8.97).

3.2 Materialien

Lernvideos. Insgesamt wurden sechs Lernvideos zu verschiedenen Themen der englischen Grammatik, welche alle im Lehrplan der 9. Klasse der Realschule verankert sind, mittels der frei zugänglichen Videoerstellungssoftware „Adobe Spark Video“ produziert. Dieses Webtool bietet eine intuitiv nutzbare und gleichzeitig überschaubare Bandbreite an Funktionen, wodurch mit relativ geringem technischem Aufwand animierte Erklärvideos erstellt werden können. Wie bei Microsoft PowerPoint besteht das Video aus einzelnen Folien, die Bilder und Texte enthalten und mit einem Audiokommentar versehen werden können. Das Gesicht der sprechenden Person ist im Video nicht erkennbar. Als Grundlage für die Produktion der in dieser Studie verwendeten Videos dienten verschiedene kognitionspsychologische Theorien wie beispielsweise Swellers (2011) Theorie der kognitiven Belastung, Renkls (2014) Theorie des beispielbasierten Lernens und Mayers (2017) Gestaltungsprinzipien für multimediale Lernszenarien (siehe Tabelle 1), aber auch Theorien der Fremdsprachendidaktik, insbesondere Newbys (2014) kognitiver und kommunikativer Grammatikansatz. Die Videos enthielten sowohl Text als auch Bilder (Multimedia Principle), wobei die Grafiken und deren Erläuterungen gleichzeitig (Temporal Contiguity Principle) bzw. in räumlicher Nähe (Spatial Contiguity Principle) präsentiert wurden. Irrelevante Informationen wurden vermieden (Coherence Principle) und zentrale Informationen wurden textlich bzw. akustisch hervorgehoben (Signalling Principle). Die Videos wurden gänzlich in englischer Sprache erstellt, wobei manche Informationen sowohl als gesprochener als auch geschriebener Text präsentiert wurden, um das Verständnis zu erleichtern. Alle Videos hatten eine – wie in der Literatur empfohlene (vgl. Brame 2016, 4) – maximale Dauer von sechs Minuten (Segmenting Principle) und einen ähnlichen Aufbau. Zunächst wurde die neue grammatikalische Struktur, z. B. „would rather“ durch mehrere Beispielsätze eingeführt (z. B. „I would rather stay at home tonight than go to the cinema.“, situativer Kontext: über Vorlieben sprechen). Anschließend mussten die Lernenden überlegen, was diese neue Struktur bedeuten könnte. Danach wurde die grammatikalische Struktur (in englischer Sprache) erklärt und die Lernenden schauten sich die Beispielsätze noch einmal genauer an. Dann wurden die Lernenden aufgefordert, zwei Sätze mit der grammatikalischen Struktur zu vervollständigen. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass die Lernenden die Inhalte des Videos nicht passiv aufnehmen, sondern auch aktiv verarbeiten und in weiterer Folge das Bedürfnis nach Kompetenzerleben (Ryan/Deci, 2017) befriedigt wird. Am Ende des Videos wurden die wichtigsten Informationen zusammengefasst.

Arbeitsblätter. Zu jedem Video bekamen die Schülerinnen und Schüler ein Arbeitsblatt mit zusätzlichen Informationen und verschiedenen Lernaufgaben. Die Aufgaben auf dem Arbeitsblatt wurden basierend auf Newbys (2014) Kriterien für sinnvolle Grammatikaufgaben und Newbys (2008) kognitivem Modell der Lernphasen ausgewählt. Zunächst mussten die Schülerinnen und Schüler zwei bis drei Multiple-Choice-Fragen zu den Inhalten des Videos beantworten. Verschiedene Lernaufgaben sollten anschließend die Entwicklung von Sprachkenntnissen, insbesondere der schriftlichen und mündlichen Sprachproduktion, fördern. Schlussendlich sollten die Schülerinnen und Schüler dazu in der Lage sein, die neue grammatikalische Struktur in verschiedenen kommunikativen Kontexten zu verwenden (Newby 2008).

Evaluation des Einsatzes von Lernvideos. Nach dem Unterrichtsprojekt wurde der Einsatz der Lernvideos von den Schülerinnen und Schülern mittels eines Fragebogens evaluiert. Orientiert an dem CRiSP-Fragebogen (classroom response system perceptions questionnaire) von Richardson et al. (2015) wurden hierfür drei Skalen mit insgesamt 18 Items verwendet: (1) Usability (Beispielitem: „Es gab zu viele technische Probleme bei dem Einsatz von Videos“ (–), 5 Items, Cronbach’s α = .73), (2) Auswirkungen auf das Engagement (Beispielitem: „Durch die Videos hat sich meine Motivation zum Lernen erhöht“, 8 Items, Cronbach’s α = .90), (3) Auswirkungen auf das Lernen (subjektiv wahrgenommener Lernerfolg) (Beispielitem: „Der Einsatz von Videos hat mir geholfen, tiefer über den Lernstoff nachzudenken“, 5 Items, Cronbach’s α = .88). Die Zustimmung zu den Aussagen wurde anhand einer fünfstufigen Ratingskala von 1 (stimmt gar nicht) bis 5 (stimmt genau) erfasst. Vier übersetzte Items der Skala Usability wurden aus der „Perceived Ease of Use“-Skala von Venkatesh (2000) übernommen.

Objektiver Lernerfolg. Eine adaptierte Version des standardisierten DESI-Grammatiktests (Nold/Rossa 2007) wurde verwendet, um die Grammatikleistung der Schülerinnen und Schüler vor und nach dem Unterrichtsprojekt zu messen. Dieser Grammatiktest wurde ursprünglich für Lernende der 9. Klasse entwickelt. Die Aufgaben wurden jedoch an die Grammatikthemen, die im Rahmen des Unterrichtsprojekts behandelt wurden, angepasst. Da die Studie zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Schuljahr durchgeführt wurde, wurden manche Grammatikthemen in manchen Klassen bereits vorher behandelt, manche Themen waren hingegen neu. Insgesamt enthielt der Test 18 Aufgaben, bei denen die Schülerinnen und Schüler zunächst einen Grammatikfehler in einem markierten Bereich identifizieren mussten (1 Punkt für jeden erkannten Fehler) und anschließend die richtige Lösung aufschreiben mussten (1 Punkt für jede richtige Lösung). Dadurch wurden sowohl produktive als auch rezeptive Sprachkompetenzen erfasst. Die interne Konsistenz des Grammatiktests mit 36 Punkten war zufriedenstellend mit Cronbach’s α = .85 im Vortest und α = .89 im Nachtest. Die folgende Aufgabe ist ein Beispielitem:

A: “When you lived in New York, [A: did you use to go] to the theatre very often?” B:   “No, I [B: didn’t use to go] there, but my mum [C: used to went] regularly.”

   Right solution: ______________________

In diesem Beispiel liegt der Grammatikfehler in C und die richtige Lösung wäre „used to go“.

3.3 Untersuchungsdesign und Ablauf

Als unabhängige Variablen wurden bei der empirischen Untersuchung der Einsatz des Videos (zuhause vs. in der Klasse) und die Unterrichtsmethode (schülerzentriert vs. lehrerzentriert) variiert. Daraus ergaben sich schließlich vier Untersuchungsbedingungen. Das 2´2-faktorielle Untersuchungsdesign mit den jeweiligen Teilstichprobengrößen ist in Abbildung 1 dargestellt.

 

Unterrichtsmethode

schülerzentriert

lehrerzentriert

Einsatz der Lernvideos

zuhause

n = 215

n = 200

in der Klasse

n = 169

n = 263

Abbildung 1: 2´2-faktorielles Untersuchungsdesign mit den zugehörigen Teilstichproben

In jeder Schule wurden die Klassen zufällig einer der vier Bedingungen zugeordnet. In allen vier Bedingungen wurden dieselben Lernvideos und dieselben Arbeitsblätter verwendet. Lediglich der Einsatz des Videos sowie die Unterrichtsmethode wurden verändert. Die Anzahl der Lernaufgaben war in allen vier Bedingungen gleich.

Video zuhause und schülerzentriert. Diese zehn Klassen (n = 215) schauten sich das Lernvideo zuhause im eigenen Tempo als Vorbereitung auf den Unterricht an. Anschließend mussten sie zwei bis drei Multiple-Choice-Fragen zu den Inhalten des Videos beantworten. Informationen zur richtigen Lösung dieser Aufgabe erhielten sie zu Beginn der Unterrichtsstunde. Die Unterrichtsstunden waren durch abwechselnde Lernphasen von Einzel- und Partnerarbeit gekennzeichnet. Zuerst lösten die Schülerinnen und Schüler verschiedene Lernaufgaben in Einzelarbeit; anschließend verglichen und diskutierten sie die Ergebnisse mit einem Lernpartner bzw. einer Lernpartnerin, der bzw. die zum selben Zeitpunkt dieselbe Anzahl an Aufgaben gelöst hatte. Dieser Ablauf wurde mehrmals wiederholt, sodass die Schülerinnen und Schüler im eigenen Tempo lernen und sich mit unterschiedlichen Lernpartnern bzw. Lernpartnerinnen austauschen konnten. Die Lehrperson nahm die Rolle eines Coaches ein und unterstützte die Lernenden bei Bedarf.

Video zuhause und lehrerzentriert. Diese neun Klassen (n = 201) schauten sich das Lernvideo ebenfalls zuhause im eigenen Tempo an und beantworteten die Multiple-Choice- Fragen zu den Inhalten des Videos als Hausaufgabe. Während den Unterrichtsstunden lösten sie verschiedene Aufgaben zuerst in Einzelarbeit; anschließend wurden die Ergebnisse im Plenum verglichen. Im Gegensatz zur schülerzentrierten Bedingung konnten die Lernenden ihre Ergebnisse nicht mit einem Lernpartner bzw. einer Lernpartnerin besprechen. Die Lehrperson nahm eine moderierende, organisierende und kontrollierende Rolle im Unterricht ein.

Video in der Klasse und schülerzentriert. Diese acht Klassen (n = 169) schauten die Lernvideos zu Beginn der Unterrichtsstunde. Die Videos wurden nur ein einziges Mal auf einer Videoleinwand gezeigt. Anschließend fanden abwechselnd Lernphasen in Einzel- und Partnerarbeit (wie in der ersten Bedingung) statt. Wie in der ersten Bedingung nahm die Lehrperson die Rolle eines Coaches ein und unterstützte die Lernenden bei Bedarf. Da das Video zu Beginn der Unterrichtsstunde gezeigt wurde, blieb etwas weniger Zeit für die Bearbeitung der Lernaufgaben. Die verbliebenen Aufgaben wurden daher als Hausaufgabe erledigt.

Video in der Klasse und lehrerzentriert. Diese elf Klassen (n = 263) schauten die Videos auch am Beginn der Unterrichtsstunde. Die Videos wurden ebenfalls nur ein einziges Mal auf einer Videoleinwand präsentiert. Anschließend bearbeiteten die Schülerinnen und Schüler mehrere Lernaufgaben zunächst in Einzelarbeit und dann wurden die Ergebnisse im Plenum verglichen. Wie in der zweiten Bedingung nahm die Lehrperson eine moderierende, organisierende und kontrollierende Rolle ein. Wie auch in der dritten Bedingung wurden die verbliebenen Aufgaben als Hausaufgabe erledigt.

Die empirische Untersuchung wurde im Vorhinein vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, den Schulleitungen, den Lehrkräften und den Eltern der Schülerinnen und Schüler genehmigt. Die Teilnahme an der Studie war freiwillig, anonym und hatte keine Auswirkungen auf die Schulnoten. Die Vor- und Nachtests fanden in den regulären Unterrichtsstunden statt. Zwischen dem Vor- und Nachtest lagen in etwa vier Wochen, in denen die Lehrkräfte insgesamt sechs Lernvideos und sechs Arbeitsblätter im regulären Englischunterricht einsetzten (jeweils 45 Minuten; 8 von ca. 12 Unterrichtsstunden wurden für die Studie in Anspruch genommen). Die teilnehmenden Lehrkräfte bekamen detaillierte Unterrichtsplanungen sowie Kopien der Arbeitsblätter für alle Schülerinnen und Schüler. Mittels eines QR-Codes, welcher sich auf dem Arbeitsblatt befand, konnten die Lernenden in den Bedingungen „Video zuhause“ auf die Lernvideos zugreifen. Am Ende des Unterrichtsprojekts wurden die ausgefüllten Arbeitsblätter wieder eingesammelt.

4 Ergebnisse

Die erste Hypothese (H1) besagte, dass die Schülerinnen und Schüler den Einsatz von Lernvideos im Englischunterricht positiv beurteilen. Die deskriptiven Befunde bezüglich der Schülerwahrnehmungen zum Einsatz von Videos im Unterricht sind in Tabelle 2 ersichtlich. Die Evaluationen der Schülerinnen und Schüler zur Usability der Videos und den Auswirkungen auf das Engagement sowie den subjektiven Lernerfolg waren durchschnittlich bis tendenziell positiv. Die Ergebnisse für die Subskala Usability fielen im Vergleich zu den Auswirkungen auf das Engagement und den eigenen Lernerfolg höher aus.

Tabelle 2:     Mittelwerte und Standardabweichungen der Schülerwahrnehmungen zum Einsatz von Videos im Unterricht gesamt sowie für die einzelnen Bedingungen

 

Gesamt

(N = 848)

Video zuhause & schüler-zentriert

(n = 215)

Video zuhause & lehrer-zentriert

(n = 201)

Video in der Klasse & schüler-zentriert

(n = 169)

Video in der Klasse & lehrer-zentriert

(n = 263)

 

M

SD

M

SD

M

SD

M

SD

M

SD

Usability

3.66

.78

3.84

.71

3.58

.93

3.58

.69

3.63

.74

Engagement

2.46

.83

2.53

.74

2.22

.80

2.61

.82

2.51

.89

Lernen

2.76

.91

2.82

.83

2.49

.88

2.96

.84

2.79

1.00

 

Um zu überprüfen, ob es bei der Bewertung des Videoeinsatzes Unterschiede zwischen den Untersuchungsbedingungen gab (H2), wurde eine zweifaktorielle multivariate Varianzanalyse (MANOVA) mit den Faktoren Video (zuhause vs. in der Klasse) und Unterrichtsmethode (schülerzentriert vs. lehrerzentriert) sowie den abhängigen Variablen Usability, Engagement und subjektiver Lernerfolg gerechnet. Es konnten ein signifikanter Haupteffekt für die unabhängigen Variablen Video (Wilks’ λ = .96, F(3, 841) = 8.83, p < .001, η² = .031) und Unterrichtsmethode (Wilks’ λ = .98, F(3, 841) = 5.53, p < .001, η² = .019) sowie ein Interaktionseffekt für Video und Unterrichtsmethode (Wilks’ λ = .99, F(3, 841) = 3.31, p = .02, η² = .012) festgestellt werden. In Post-hoc-Analysen wurden für jede abhängige Variable eine einfaktorielle ANOVA durchgeführt. Es zeigte sich ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen dem Einsatz der Videos (zuhause vs. in der Klasse) für das Engagement, F(1, 843) = 11.01, p = .001, η² = .013, den subjektiven Lernerfolg, F(1, 843) = 12.40, p < .001, η² = .014, knapp jedoch nicht für Usability, F(1, 843) = 3.64, p = .057, η² = .004. Die Auswirkungen auf das Engagement waren tendenziell höher, wenn das Video in der Klasse gezeigt wurde. Zwischen der Unterrichtsmethode (schülerzentriert vs. lehrerzentriert) zeigte sich ebenfalls ein signifikanter Unterschied für das Engagement, F(1, 843) = 12.92, p < .001, η² = .015, und den subjektiven Lernerfolg, F(1, 843) = 16.31, p < .001, η² = .019, aber ebenfalls knapp nicht für die Usability, F(1, 843) = 3.65, p < .06, η² = .004. Der subjektive Lernerfolg war höher, wenn ein schülerzentrierter Unterricht stattgefunden hatte. Bei der Interaktion von Video und Unterrichtsmethode zeigte sich jedoch ein signifikanter Unterschied für die Usability, F(1, 843) = 8.08, p < .001, η² = .009, jedoch keiner für das Engagement, F(1, 843) = 3.44, p = .06, η² = .004, und den subjektiven Lernerfolg, F(1, 843) = 1.64, p = .20, η² = .002. Die Usability wurde in der Bedingung „Video zuhause“ und „schülerzentriert“ am positivsten beurteilt.

Anschließend wurde untersucht, in welchem Zusammenhang die Schülerwahrnehmungen zum Einsatz der Lernvideos mit dem objektiven Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler stehen. Für die Ermittlung des Lernzuwachses wurden die Vortest-Werte von den Nachtest-Werten subtrahiert. Die Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalyse sind in Tabelle 3 dargestellt. Erwartungskonform zeigte sich ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen den Auswirkungen der Lernvideos auf das Engagement und dem objektiven Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler (H3). Ebenso konnte ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem subjektiven und dem objektiven Lernerfolg bestätigt werden (H4).

Tabelle 3:     Mittelwerte und Standardabweichungen sowie bivariate Korrelationen der Schülerwahrnehmungen zum Einsatz von Videos, der demographischen Angaben und des objektiven Lernzuwachses

Variable

M

SD

(2)

(3)

(4)

(5)

(6)

(7)

(8)

(1) Usability

3.66

.78

.34**

.41**

.07

.07*

.12**

-.00

.13**

(2) Engagement

2.46

.83

 

.82**

- .11**

.11**

-0.07

.04

.08*

(3) Lernen

2.76

.91

   

-.11**

.12**

-.05

.02

.14**

(4) Video

.49

.50

     

.13**

.08*

-.00

-.06

(5) Methode

.45

.50

       

- .11**

-.02

.06

(6) Geschlecht

.52

.50

         

-.07

.08*

(7) Alter

14.95

.70

           

-.04

(8) Objektiver Lernzuwachs

2.04

5.22

             

Anmerkungen. Kodierung Geschlecht: 0 (männlich) bzw. 1 (weiblich); Video: 0 (in der Klasse) bzw. 1 (zuhause); Methode: 0 (lehrerzentriert) bzw. 1 (schülerzentriert); *p < .05, **p < .01.  

5 Diskussion

Ziel der empirischen Untersuchung war es, geeignete Lernvideos für den Englischunterricht zu entwickeln und diese in verschiedenen Untersuchungsbedingungen im Hinblick auf ihre Usability und ihre Wirkungen auf das Engagement und den subjektiv wahrgenommen Lernerfolg zu evaluieren. Die deskriptiven Befunde zeigen, dass Schülerinnen und Schüler den Videoeinsatz im Hinblick auf ihre Usability und den Auswirkungen auf das Engagement und den subjektiven Lernerfolg durchschnittlich bis tendenziell positiv bewerten. Insbesondere die Usability wurde sowohl in den Bedingungen „Video zuhause“ als auch in den Bedingungen „Video in der Klasse“ als positiv beurteilt. Demnach fiel es Schülerinnen und Schülern leicht, die Videos zu benutzen und es gab keine technischen Probleme. Somit konnte gezeigt werden, dass der Einsatz von Lernvideos auch von Schülerinnen und Schüler im Sekundarschulbereich positiv wahrgenommen wird.

Wie erwartet zeigten sich Unterschiede in der Evaluation der Lernvideos zwischen den Untersuchungsbedingungen. Die Unterschiede lassen sich zum Teil recht gut mit den menschlichen Grundbedürfnissen nach Autonomie und sozialer Eingebundenheit aus der Selbstbestimmungstheorie von Ryan und Deci (2017) erklären. So waren die Auswirkungen auf das Engagement tendenziell höher, wenn das Video in der Klasse gezeigt wurde. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass sich die Motivation der Schülerinnen und Schüler zum Lernen aufgrund der Videodarbietung im Klassenverband und der damit einhergehenden sozialen Eingebundenheit erhöht hat. In den anderen Bedingungen („Video zuhause“) konnten sich die Lernenden das Video zwar im eigenen Tempo anschauen, was dem Bedürfnis nach Autonomie entgegenkommen sollte, jedoch waren sie dabei auf sich alleine gestellt und konnten ihre Eindrücke nicht mit anderen teilen. Bezüglich der Unterrichtsmethode zeigte sich, dass der subjektiv wahrgenommene Lernerfolg bei einem schülerzentrierten Unterricht höher ausfiel. Auch hier könnte die Erfüllung der Bedürfnisse nach Autonomie und sozialer Eingebundenheit eine mögliche Erklärung liefern. In den schülerzentrierten Bedingungen konnten die Lernenden die Lernaufgaben im eigenen Tempo bearbeiten und anschließend die Ergebnisse mit einem Lernpartner bzw. einer Lernpartnerin besprechen. Metaanalytische Befunde (z. B. Kyndt et al. 2013) deuten darauf hin, dass Lernende kooperativen Unterrichtsmethoden gegenüber positiv eingestellt sind und dass sich diese in weiterer Folge auch positiv auf den Lernerfolg auswirken können. Schließlich zeigte sich ein signifikanter Interaktionseffekt für die Usability: die Gebrauchstauglichkeit der Videos wurde in der Bedingung „Video zuhause“ und „schülerzentriert“ am positivsten bewertet. Dieses Ergebnis könnte dahingehend erklärt werden, dass den Lernenden in dieser Bedingung sowohl zuhause als auch im Unterricht selbstgesteuertes, autonomes Lernen ermöglicht wurde und sie zudem im Unterricht gemeinsam mit Peers lernen konnten.

Ähnlich wie in der Studie von Sailer und Figas (2015) konnte in dieser empirischen Untersuchung ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen den Schülerwahrnehmungen – konkret den Auswirkungen auf das Engagement und dem subjektiven Lernerfolg – und dem objektiven Lernerfolg festgestellt werden, wobei auch hier die Korrelationskoeffizienten eher gering ausfallen. Nichtsdestotrotz kann festgehalten werden, dass positive Bewertungen von Lernvideos tendenziell mit einem höheren Lernerfolg einhergehen. 

6 Fazit

Insgesamt deuten die Befunde darauf hin, dass Lernvideos ein geeignetes Instruktionsmedium für Lernende auch an allgemein- oder berufsbildenden Schulen darstellen. Jedoch sollten diese gewisse Qualitätskriterien erfüllen (siehe Gestaltungsprinzipien von Mayer 2017) und eine sinnvolle Einbettung in den Unterricht erfolgen, so dass Lernvideos entweder als Teil der Hausaufgaben oder im Präsenzunterricht die Einführung in ein Unterrichtsthema stützen (Alpert/Hodkinson 2018). Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung ist eine steigende Anzahl von einfachen Möglichkeiten zur Eigenproduktion von Lernvideos festzustellen. Folgerichtig haben sich mittlerweile verschiedene Formen von Lernvideos, beispielsweise Screencasts oder Legetrick-Videos, etabliert (vgl. Zander/Behrens/Mehlhorn 2020, 4ff.). Zukünftige Forschungen sollten diese verschiedenen Formen von Lernvideos im Hinblick auf deren Auswirkungen auf das Engagement sowie den subjektiven und objektiven Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern in verschiedenen Unterrichtsfächern noch näher untersuchen. Hierbei könnten noch weitere Variablen wie beispielsweise Vorerfahrungen videobasierten Lernens, Präferenzen für einen bestimmten Unterrichtsstil (schülerzentriert vs. lehrerzentriert) oder die Art des Einsatzes (Einführung in ein neues Thema vs. Wiederholung) näher betrachtet werden. Zudem könnte untersucht werden, welchen Lernzuwachs leistungsstarke bzw. leistungsschwache Schülerinnen und Schüler erfahren. Dadurch könnten Chancen und Grenzen des videobasierten Lernens aufgezeigt und praktische Empfehlungen für das Handeln von Lehrkräften abgeleitet werden.

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Zitieren des Beitrags

Wagner, M./Urhahne, D. (2021): Entwicklung und Evaluation von Lernvideos für den Englischunterricht. In: bwp@ Spezial AT-3: Beiträge zum 14. Österreichischen Wirtschaftspädagogik-Kongress, 1-16. Online: http://www.bwpat.de/wipaed-at3/wagner_urhahne_wipaed-at_2021.pdf (13.09.2021).