bwp@ 35 - Dezember 2018

Ökonomisierung in der Bildung und ökonomische Bildung

Hrsg.: Karin Büchter, Tade Tramm & Jens Klusmeyer

Zuruf von der Seitenlinie – zur Kontroverse zwischen Günter Kutscha und Klaus Beck in bwp@“

Beitrag von Martin Kipp

Über ein Jahrzehnt nach meinem Ausscheiden aus dem aktiven Universitätsdienst reizt mich die Kontroverse in bwp@[1] zu diesem Zuruf; zumal als jemand, der im Zeitraum von 1975 bis 2008 die Entwicklung der Berufs- und Wirtschaftspädagogik hierzulande begleitet hat und zu den Mitbegründern von bwp@ gehört.

Mich erfreut, dass rüstige Rentner diesen ans „Eingemachte“ rührenden Diskurs führen, der nun mal der Dialektik der Aufklärung immanent ist. Man könnte das auch als ein Krisensymptom der „Zunft“ der Berufs- und Wirtschaftspädagogen deuten – ich möchte das aber als Zeichen der Hoffnung sehen und bin gespannt darauf, ob und wie der Diskurs weiter gehen wird.

Vor nunmehr anderthalb Jahrzehnten hat mich Günter Kutscha in Hamburg zu einem längeren Gespräch aufgesucht[2]. Während mich zu Günter Kutscha und vielen Kollegen aus der früheren „Blankertz-Truppe“, wenn ich das so locker sagen darf, eine „ideologische Verwandtschaft“  bezüglich der Ziele der Berufsschullehrer-Ausbildung und der aufklärerischen Aufgabe der Berufsschule verbindet, speist sich meine Wertschätzung des Kollegen Klaus Beck aus einigen Gesprächen und vielen seiner reflektierten Redebeiträge bei DGfE-Kongressen, BWP-Sektionssitzungen und Diskussionen bei den Hochschultagen Berufliche Bildung sowie nicht zuletzt aus der Lektüre vieler seiner Publikationen, die ich mit Interesse und Gewinn und immer wieder auch mit Kopfnicken zur Kenntnis genommen habe.

Günter Kutscha rufe ich zu, dass mir sein bwp@-Beitrag rundum gut gefallen hat und dass ich davon beeindruckt bin, dass er damit Wolfgang Lempert[3] ein weiteres Denkmal in bwp@ gesetzt hat.

Klaus Beck rufe ich zu, dass mich sein Gestus der Fürsorglichkeit überrascht und überhaupt nicht überzeugt, mit dem er Auszubildende davor bewahren möchte, im Berufsschulunterricht kognitive Dissonanzen zu erfahren und in (Erkenntnis- bzw. Identitäts-)Krisen gestürzt zu werden – anders formuliert bleibt die Frage, ob, wann und wie den Berufsschülern der Weg zu eigenem Urteil und Kritik gewiesen werden soll. Sollen die Leute brav arbeiten und konsumieren und bloß nicht im Geiste der Aufklärung das kaputte Wirtschaftssystem in Frage stellen, das AfDler und Nazibanden gebiert, statt mündige Staatsbürger? Mich enttäuscht, dass bei aller Brillanz der Auseinandersetzung mit Günter Kutschas Text Klaus Beck die pädagogische Orientierung am Mündigkeitspostulat fahren lässt, so dass die Frage bleibt, welchen Prinzipien aufklärerischer Pädagogik er sich verpflichtet weiß, die allein den Subjektstatus des autonomen Individuums begründen könnten.

Literatur

Beck, K. (2019): Irrungen und Wirrungen im „Abseits politisch-ökonomischer Reflexion“. Eine nicht ganz unpolemische und zugleich de(kon)struktive Entgegnung auf Günter Kutschas „Polemik in konstruktiver Absicht“. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 35, 1-15. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe35/beck_entgegnung-kutscha_bwpat35.pdf (15.12.2019).

Büchter, K./Seubert, R./ Weise-Barkowsky, G. (Hrsg.) (2005): Berufspädagogische Erkundungen. Festschrift für Martin Kipp. Frankfurt a. M.

Kutscha, G. (2019): Berufliche Bildung und berufliche Handlungskompetenz im Abseits politisch-ökonomischer Reflexion. Eine Polemik in konstruktiver Absicht und Wolfgang Lempert zum Gedenken. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 35, 1-19. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe35/kutscha_bwpat35.pdf (15.12.2019).

 

[1]    Nachzulesen in Ausgabe 35 von bwp@ unter https://www.bwpat.de/ausgabe/35 im Teil 5: Kutscha (2019): http://www.bwpat.de/ausgabe35/kutscha_bwpat35.pdf und Beck (2019): http://www.bwpat.de/ausgabe35/kutscha_bwpat35.pdf

[2]    Das Gespräch ist nachlesbar: „Aspekte der Berufs- und Wirtschaftspädagogik – Martin Kipp und Günter Kutscha im Gespräch am 21. 12. 2004 in Hamburg“, in: Büchter, K. /Seubert, R./Weise-Barkowsky, G. (Hrsg.): Berufspädagogische Erkundungen. Festschrift für Martin Kipp. Frankfurt am Main 2005,  23-39.

[3]    Wolfgang Lempert war einer der produktivsten Kollegen in der „Zunft“ der Berufs- und Wirtschaftspädagogen, der neben zahlreichen bahnbrechenden Studien und (Lehr-)Büchern zur beruflichen Sozialisation bis ins hohe Alter eine Vielzahl lesenswerter und anregender Rezensionen in bwp@ veröffentlicht hat, die Maßstäbe setzen – wiewohl im persönlichen Umgang eher bescheiden und gänzlich unbeeindruckt vom „Jahrmarkt der Eitelkeiten“, hat er sich allein schon mit den in bwp@ verewigten Rezensionen ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Zitieren des Beitrags

Kipp, M. (2020): Zuruf von der Seitenlinie – zur Kontroverse zwischen Günter Kutscha und Klaus Beck in bwp@. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 35, 1-2. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe/35/kipp (20.01.2020).

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Dr. Stephanie Odenwald
Kontroverse zwischen Kutscha und Beck.
Hinter mir liegen viele Jahre pädagogische r Tätigkeit in der berufsbildenden Schule. Meine Erfahrung ist, dass die Auszubildenden sehr dringend eine Bildung brauchen, die ihrer Orientierung in einer Welt im Umbruch dient und die sie befähigt, ihre Rechte in Betrieb und Gesellschaft wahrzunehmen. Anders als Schüler im Gymnasien erleben sie in ihrer Ausbildung die Konflikte in der Arbeitswelt. Becks Ausführungen lassen annehmen, dass ihm eine kritische Auseinandersetz ung damit, wie und was produziert wird und wie mit Menschen in der Arbeitswelt umgegangen wird, für Auszubildende ungeeignet erscheint. Aber Kritkfähigkeit und Urteilskraft wird in allen Bereichen des Lebens gebraucht. Bei der Arbeit, im Gemeinwesen, im persönlichen Umgang. Das ist von den fachlichen Fähigkeiten überhaupt nicht zu trennen, weder bei Auszubildenden noch bei Berufen im akademischen Bereich.

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