bwp@ 30 - Juni 2016

Inklusion in der beruflichen Bildung

Hrsg.: H.-Hugo Kremer, Karin Büchter & Ulrike Buchmann

Inklusive Berufsbildung unter besonderer Berücksichtigung berufsintegrativer Kompetenzen von Ausbildenden in Lehrbetrieben des ersten Arbeitsmarkts

Beitrag von Silvia Pool Mag & Reto Jäger
bwp@-Format: Forschungsbeiträge

Inklusion bezieht sich auf verschiedene Lebensbereiche, u. a. auf den Zugang zu Bildung und Arbeit. Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe aller Personengruppen. Der Übergang Schule-Beruf ist in vielerlei Hinsicht anspruchsvoll. Untersuchungen zeigen, dass mit dem erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Integration auch für Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf steigt (Hofmann/Häfeli 2013; Pool Maag/Friedländer/Rauser, 2015). Für den Verbleib in Ausbildung ist die Qualität der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen von zentraler Bedeutung (Enggruber/Rützel,2014; Hasler 2014; Schmid/Stalder 2008). Dazu zählen Merkmale des Arbeitsplatzes und die Ausbildungsfähigkeit der Lehrbetriebe (Fasching 2012; Gurtner/Schumann 2015). Eine Analyse verschiedener Untersuchungen verweist auf Diskrepanzen zwischen den Ausbildungskompetenzen, die den Verbleib in Ausbildung unterstützen und den für Ausbildende in Lehrbetrieben bedeutsamen Ausbildungskompetenzen. Auf dieses Spannungsfeld konzentriert sich das Erkenntnisinteresse. Die Studie fokussiert die Ausbildung von Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im ersten Arbeitsmarkt und untersucht, welche berufsintegrativen Kompetenzen (Passung herstellen zwischen Ausbildungssituation bzw. -angebot und individuellem Bedarf) Berufsbildende einsetzen, um den Verbleib junger Erwachsener in Ausbildung zu unterstützen. Es werden theoretische Bezüge und erste Ergebnisse aus einer explorativen Vorstudie berichtet (Gruppen-/Einzelinterviews; Fragebogenerhebung). Ziel der Studie ist die Stärkung der berufsintegrativen Kompetenzen der Berufsbildenden und darüber die Förderung ihrer Ausbildungsbereitschaft.

Training Concepts of Trainers in Training Companies of the Regular Employment Market

English Abstract

Inclusion relates to various areas of life, including access to training and education and to work. The objective is equal participation of all groups of people. The transition from school to vocation is difficult in many ways. Studies have shown that successful completion of vocational training and education increases the probability of vocational integration even for young people with special educational needs (Hofmann/Häfeli 2013; Pool Maag/Friedländer/Rauser 2015). For those young people to remain in training and education, the quality of working and training conditions is of vital importance (Enggruber/Rützel 2014; Hasler 2014; Schmid/Stalder 2008). This includes characteristics of the workplace and the ability of a company to provide training (Fasching 2012; Gurtner/Schumann, 2015). An analysis of various studies indicates discrepancies between training competences that support the continuance of training and training competences that are of significance for trainees in training companies. The academic interest focuses on this area of tension. The study focuses on the training of young people with special educational needs in the regular (unsubsidised) employment market and examines which integrational competences (matching training situation or offer with individual needs) vocational trainers use to support young adults in continuing their training. Theoretical references and initial results of an explorative pre-study (group and individual interviews; questionnaires) are reported. The aim of the study is to enhance integrational competences of trainers and encourage their willingness to conduct training.

1 Einleitung

Inklusion zielt auf die gleichberechtigte Teilhabe aller Personengruppen an Bildung und Arbeit und setzt pädagogisch betrachtet, den Willen und die Fähigkeit voraus, mit der Vielfalt von Personen umzugehen (Hinz 2010). Die Umsetzung dieses Anspruchs ist im Übergang von der Schule in den Beruf eine Herausforderung, denn die soziale und ethnische Herkunft der Jugendlichen sowie Geschlecht und Behinderung wirken im Übergangsprozess benachteiligend (Haeberlin et al. 2011; Hupka-Brunner et al. 2011; Solga 2002). Von diesem Nachteil betroffene Jugendliche bewältigen die erste selektive Hürde ins Erwerbsleben oftmals nur mit Hilfe berufsvorbereitender und -integrierender Maβnahmen. Diese Angebote sind in Deutschland und in der Schweiz vergleichbar (z. B. vertiefte Berufsorientierung, Nutzung von Berufsinformationszentren, Praktika, Case-Management, Peer-Coaching, Jobcoaches bzw. Berufseinstiegsbegleitende, individuelle Berufsberatung, 10. Schuljahr in der Schweiz). Die Entwicklung zeigt in den letzten zehn Jahren in beiden Ländern eine starke Zunahme der Nutzung der Angebote im Übergangssystem (Hupka-Brunner et al. 2011). Das ist nicht unproblematisch, da es sich dabei meist um Lösungen in der Not handelt (Kühnlein 2008). Deshalb ist daran zu arbeiten, auch benachteiligten Jugendlichen einen direkten Einstieg in die Berufsausbildung und einen Ausbildungsabschluss zu ermöglichen, denn Untersuchungen zeigen, dass damit die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Integration auch für diese Zielgruppe steigt (Hofmann/Häfeli 2013; Pool Maag/Friedländer/Rauser 2016, eingereicht).

In der Schweiz wählen ca. zwei Drittel aller Schulabgängerinnen und Schulabgänger den Weg der dualen Berufsbildung, d. h. Jugendliche absolvieren den grössten Teil ihrer Ausbildung in einem Lehrbetrieb (drei bis vier Tage pro Woche) und besuchen neben überfachlichen Kursen (quartalsweise) an ein bis zwei Tagen die Berufsfachschule. So genannte zwei-, drei- und vierjährige Grundbildungen führen zu einem eidgenössisch anerkannten Abschluss. Die Durchlässigkeit zwischen den Ausbildungsgefässen ist gegeben. Eine Teilqualifizierung ähnlich dem Modell der Integrativen Berufsausbildung in Österreich existiert nicht (vgl. Pinetz/Prammer 2010). In den letzten Jahren hat sich die Ausbildungsform „Praktische Ausbildung“ (PrA) etablieren können, die benachteiligten Jugendlichen bzw. Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf einen Einstieg in die Berufsausbildung gewährleistet und einen Anschluss an die eidgenössisch anerkannte berufliche Grundbildung ermöglicht. Diese Ausbildungsform arbeitet auf der Basis angepasster Curricula, dauert ein bis zwei Jahre und wird mit einem Qualifikationsverfahren abgeschlossen (gestaffelte Teilqualifikationen sind möglich).

Für den Verbleib in Ausbildung sind im dualen Berufsbildungssystem die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen von zentraler Bedeutung (Schmid/Stalder 2008). Dazu zählen Merkmale des Arbeitsplatzes und die Ausbildungsfähigkeit der Lehrbetriebe (Fasching 2012). Diese Evidenz greift der vorliegende Beitrag auf und fokussiert auf die Ausbildungskompetenzen von Berufsbildenden und die Frage, „Wie Berufsbildende im ersten Arbeitsmarkt erfolgreiche Ausbildungen von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf gestalten?“. Die Daten wurden in Gruppeninterviews erhoben. Das Erkenntnisinteresse liegt auf der Beschreibung möglichst konkreter, situierter Handlungen und deren Zusammenfassung in übergreifende Kategorien der Handlungsorientierung. Die Studie zielt auf die Stärkung der Tragfähigkeit der Lehrbetriebe und die Ausbildungsbereitschaft der Berufsbildenden. Des Weiteren kann das generierte Wissen den Verbleib der Jugendlichen in Ausbildung unterstützen und darüber ihre berufliche Integration fördern.

2 Erfolgsfaktor Betrieb

Der Ausbildungsplatz gilt als Eintrittsticket in die duale Berufsbildung. Gerade die Ausbildung von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf erfordert die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe. Baumgartner/Greiwe/Schwarb (2004) zeigen auf, dass acht Prozent der Betriebe in der Schweiz Mitarbeitende mit Behinderungen beschäftigen (Deutschland: 4.1-6.6%, vgl. Inklusionsbarometer Arbeit 2015), wobei Personen mit Körper- oder Sinnesbehinderung öfters beschäftigt werden als Personen mit psychischer oder geistiger Behinderung (258). Für Jugendliche mit einer geistigen Behinderung zeigten in der Schweiz drei Prozent der Betriebe eine Ausbildungsbereitschaft (Deuchert/Kauer/Meisen Zannol 2011). Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält fest, dass trotz der gestiegenen Anzahl von schwerbehinderten Auszubildenden in Lehrbetrieben die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen generell noch viel zu gering sei (2013, 7).

2.1 Arbeitsplatzbezogene Faktoren

Der Lehrbetrieb wird als Lernort zunehmend Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Zur Bedeutung arbeitsplatzbezogener Faktoren im Übergang Schule-Beruf, im Besonderen zu den Ausbildungskompetenzen von Berufsbildenden, liegen erst wenige Befunde vor: Wichtig sind die Passung und gute soziale Beziehungen am Arbeitsplatz sowie abwechslungsreiche und herausfordernde Aufgabenstellungen, die das selbstständige Arbeiten fördern. Erfolgserlebnisse wirken sich positiv auf das berufliche Engagement und den Verbleib in der Ausbildung aus. Soziale Konflikte mit vorgesetzten Personen oder Mitarbeitenden wirken sich negativ auf den Verbleib im Lehrbetrieb aus (Häfeli/Schellenberg 2009, 30). Gurtner/Schumann (2015) erwähnen ergänzend dazu eine ressourcenorientierte Haltung, die Nutzung von Weiterbildung sowie die Zusammenarbeit mit der Berufsfachschule (34). Bei Personen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung erschweren person- und umweltbezogene Faktoren den Arbeitsprozess (z. B. geringe Kommunikationsfähigkeiten, langsames Lernen/Arbeiten oder soziale Schwierigkeiten im Betrieb). Eine hilfreiche Maßnahme ist aus Sicht der Betroffenen die direkte Unterstützung im fachlichen Bereich durch wiederholte Anleitungen in der Ausführung von Tätigkeiten durch Mitarbeitende oder Berufsbildende sowie das Job-Coaching als ausserbetriebliche Unterstützungsmaßnahme, die die soziale Integration in den Betrieb fördert. Die Familie wird von den Arbeitgebenden als wichtiger „emotionaler Unterstützungspfeiler“ wahrgenommen (Fasching 2012, 50ff.).

In der Heuristik der Kompetenzen von Berufsbildenden in den Berufen Pharmazie und Polymechanik von Heinzer et al. (2013) wird zwischen drei Kompetenzprofilen (KP) unterschieden, die für Ausbildungsprozesse relevant sind: 1) Berufsbildungsspezifisches KP, z. B. Erteilen von Arbeitsaufträgen, Feedback geben, Konfliktbehandlung, Kommunikation zwischen Lernorten, Motivation Lernende; 2) betriebsspezifisches KP, z. B. Aufbau von Sicherheit bei Arbeitsabläufen, Ausbildungsverantwortung, Erwartungen transparent machen, Auswahl der Arbeiten und 3) berufsspezifisches KP, z. B. Arbeitsstrategien und Grundfertigkeiten vermitteln, Fachsprache erwerben, Genauigkeit vermitteln, Umgang mit Maschinen und Werkzeugen (254). Die genannten arbeitsplatzbezogenen Faktoren, die für die Berufsintegration wichtig sind, sind mehrheitlich den berufsbildungsspezifischen wie auch den betriebsspezifischen Kompetenzen zuzuordnen. Die befragten Berufsbildenden schreiben jedoch den berufsspezifischen Kompetenzen in der Ausbildung den höchsten Stellenwert zu. Die unterschiedliche Gewichtung ausbildungsbezogener Kompetenzen verdeutlicht ein Spannungsfeld zwischen der Schwerpunktsetzung der Berufsbildenden und den Faktoren, die in der Ausbildungspraxis integrativ wirken. Die vorliegende Studie leistet einen Beitrag zum besseren Verständnis dieses Verhältnisses im Rahmen von Ausbildungen unter erschwerten Bedingungen, denn gerade in diesem Bereich ist eine Verbesserung der Ausbildungsqualität anzustreben (Lischer 2002).

2.2 Berufsintegrative Kompetenzen

Es stellt sich die Frage, welche Kompetenzen Berufsbildende für die Ausbildung junger Erwachsener mit besonderem Förderbedarf brauchen? Im Folgenden wird präzisiert, was im Rahmen der Studie unter „berufsintegrativen Kompetenzen“ verstanden wird und an welche Konzeptionen und Bezugstheorien dieses Verständnis anschließt.

2.2.1 Kompetenz als bewusste Bewältigungsfähigkeit

Der Kompetenzdiskurs verweist auf unterschiedliche Konzeptionierungen von Kompetenz. Sie unterscheiden sich darin, dass Kompetenz einmal als (Leistungs-)Disposition verstanden wird, d. h. als (Fach-)Wissen und darauf aufbauende Denkprozesse (affektive, motivationale und volitionale Aspekte sind weitgehend ausgeklammert) (vgl. Bromme 1997; Shulman 1987; Baumert/Kunter 2006). Eine andere Konzeption versteht Kompetenz als Konzept menschlicher Bewältigungsfähigkeit. Kompetenz ist eine Kombination von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen im Zusammenhang mit einer konkreten Handlungssituation (z. B. in einer spezifischen beruflichen Domäne) (vgl. Onstenk 2001; Wollersheim 1993). Die Operationalisierung dieses Konzepts verweist auf drei wichtige Elemente (1) Kennen als Wissen, 2) Können als Organisation des Wissens und der Kreativität, 3) Wollen als Willen zur Realisierung). In Bezug auf das betriebliche Arbeitsverhalten zeigt sich eine Weiterentwicklung dieser Elemente in Richtung Handlungsfähigkeit (Qualifikation), Handlungsbereitschaft (individuelle Motivation) und Zuständigkeit (betrieblich definiertes System von Verantwortlichkeiten) (vgl. Becker/Rother 1998; Staudt/Kriegesmann 2002). Diese theoretischen Bezüge stehen in direktem Zusammenhang mit zwei Teilfragen der Studie: Zum einen die Frage nach der Ausbildungsbereitschaft und Motivation der Berufsbildenden, zum anderen mit der Frage wie die Berufsbildenden in herausfordernden Ausbildungssituationen konkret vorgehen (Handlungsfähigkeit/Zuständigkeit).

2.2.2 Zur Bedeutung von (Handlungs-)Situationen

Eine Ausbildungssituation ist eine Handlungssituation. Dabei reagieren die an dieser Situation Beteiligten nicht auf Reize, sondern sie handeln aufgrund der „Bedeutung“, die sie einer Situation geben (König 1997, 36). Sie sind Akteure und Akteurinnen eines sozialen Systems, das von sozialen Regeln bestimmt ist. Vor dem Hintergrund der geltenden Regeln entstehen Verhaltensmuster, die sich gegenseitig bedingen. „Unklarheit über die Bedeutung einer Situation führt zu Orientierungsproblemen im praktischen Handeln“ (König/Zedler 1998, zit. nach Haeberlin 2003, 66). Diesem Verständnis folgend haben Probleme keine individuelle Ursache, sondern resultieren aus dem sozialen System, aus der Art, wie Handlungen darin vollzogen werden. In dieser Lesart sind Herausforderungen stets in Bezug auf unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen zu verstehen. Pädagogisches Handeln ist entsprechend eine situationsgebundene Aktivität, die situatives Verstehen erfordert. Wir vermuten, dass dieser Fähigkeit gerade in Ausbildungsprozessen, die unter erschwerten Bedingungen vollzogen werden, eine wichtige Bedeutung zukommt.

2.2.3 Integration als Prozess

Das leitende Integrationsverständnis ist angelehnt an die Theorie der „integrativen Prozesse“ von Reiser et al. (1986). Hier wird das oben beschriebene Orientierungsproblem als das „Andere“ bezeichnet mit dem es sich in einer konflikthaften Dynamik in Interaktion auseinanderzusetzen gilt (99). Wir gehen davon aus, dass sich dies auch in Ausbildungsprozessen zeigt. Integrative Prozesse sind „Einigungsprozesse“. Das bedeutet den „Verzicht auf die Verfolgung des Andersartigen und stattdessen die Entdeckung des gemeinsam Möglichen (…).“ (Reiser et al. 1986, 120). Es interessiert, wie Berufsbildende in herausfordernden Ausbildungssituationen in Interaktion mit den Auszubildenden Einigungsprozesse bzw. Integration hervorbringen und darüber den Verbleib in Ausbildung ermöglichen. Berufliche Integration ist keine organisatorische Maßnahme und auch kein „Zustand des Eingegliedertseins“ (im Verständnis Reisers wäre das Inklusion), sondern ein Prozess der beruflichen Sozialisation (Reiser et al. 1986, 116). Inklusive Berufsbildung schafft auf der Ebene der Kulturen (z. B. formale Zugehörigkeit), der Strukturen (z. B. Kooperation und Beratung) und der Praktiken (z. B. gezielte Förderung) Rahmenbedingungen für die geeignete Förderung und die unbedingte Anerkennung der Lernenden in Ausbildung (Grosche 2015, 33ff.).

3 Durchführung der Studie

Die Studie wird in einem Schweizer Kanton in Zusammenarbeit mit einer Stiftung durchgeführt, die die berufliche Integration von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf seit etwa zehn Jahren in Kooperation mit Lehrbetrieben im ersten Arbeitsmarkt begleitet. Die Stiftung gilt als Pionierin auf dem Gebiet der Supported Education (ausbildungsbegleitende Unterstützung, z. B. Job-/Lerncoaching, Beratung). Supported Education ist ein Angebot für Auszubildende, Berufsbildende und Lehrbetriebe, die Jugendliche mit besonderem Förderbedarf ausbilden. Das Angebot ist bedarfsorientiert ausgerichtet, unterstützt den Ausbildungsverlauf und fördert darüber ein positives Arbeitsverhältnis sowie die Wahrscheinlichkeit beruflicher Integration(Pool Maag/Friedländer 2013; Pool Maag/Friedländer/Rauser 2016, eingereicht). In der Studie stehen die Lehrbetriebe und ihre Ausbildungsprozesse im Zentrum. Im Folgenden bezieht sich die Bezeichnung „Jugendliche mit besonderem Förderbedarf“ auf junge Erwachsene mit einem verstärkten Unterstützungsbedarf, die entweder an Regelschulen (Integrierte Sonderschulung) oder in Sonderschulen unterrichtet wurden und im Übergang in den Beruf Anrecht auf unterstützende berufliche Maβnahmen haben (z. B. Job-Coaching), die die Invalidenversicherung finanziert. Fokussiert werden in der vorliegenden Studie die berufsintegrativen Kompetenzen von Berufsbildenden, d. h. ihre Fähigkeit „integrative Prozesse“ i. S. einer Passung von Angebot und Bedarf hervorzubringen und darüber den Verbleib und die berufliche Integration von Jugendlichen zu unterstützen. Die Fragestellung lautet: „Wie gestalten Berufsbildende im ersten Arbeitsmarkt erfolgreiche Ausbildungsprozesse mit Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf, was brauchen sie dafür und welche Herausforderungen sich zeigen?“

3.1 Methodisches Vorgehen

Die Studie umfasst zwei Phasen und ist im Querschnitt angelegt. Das methodische Vorgehen folgt einem explorativen Ansatz im mixed-method-Design: In der ersten Phase wurden mit fünfzehn Berufsbildenden Gruppeninterviews (n=15) geführt und mit fünf Berufsbildenden Einzelinterviews (n=5). In der zweiten Phase wird eine Delphi-Befragung mit Ratingverfahren folgen, die alle Verbundbetriebe der Stiftung (N=60) einbezieht, um die erarbeiteten Kompetenzen zu gewichten und weitere Kompetenzen zu erfassen (in Anlehnung an Oser et al. 2013). Auf dieser Basis soll eine Item-Dokumentation entstehen, die relevante Dimensionen berufsintegrativer Kompetenz abbildet und für weitere Forschung genutzt werden kann. Der Beitrag fokussiert die Ergebnisse aus den Gruppeninterviews, die entlang eines Leitfadens mit folgenden Fragen geführt wurden: 1) Bitte erzählen Sie, wie es dazu gekommen ist, dass Sie/Ihre Firma Jugendliche mit einem erhöhten Unterstützungsbedarf ausbilden? (Fokus Ausbildungsmotivation); 2) Was läuft mit Blick auf die Auszubildende/den Auszubildenden gut in der Ausbildung (typische Situation) und was trägt zu diesem guten Gelingen bei? (Fokus  Situation/Handlungsfähigkeit: Gelingensbedingungen); 3) Wann zeigen sich im Ausbildungsalltag Herausforderungen (typische Situation) und wie gehen Sie in dieser Situation gewöhnlich vor? (Fokus  Situation/Handlungsfähigkeit: Integrative Prozesse); 4) Wann stoßen Sie im Ausbildungsprozess an Grenzen (typische Situation) und wie gehen Sie in diesen Situationen gewöhnlich vor? (auf welche Formen der Unterstützung greifen Sie zurück? Wissen, Unterstützungssysteme, lehrbetriebsergänzende Maβnahmen) (Fokus Situation/Handlungsfähigkeit: Integrative Prozesse)

Die Interviews dauerten zwischen 90 bis 100 Minuten. Sie wurden von den Autoren geführt, aufgezeichnet, transkribiert und mit der Auswertungssoftware MAXQDA 11 ausgewertet. Die Auswertung erfolgte inhaltsanalytisch entlang des Gesprächsverlaufs (Kuckartz 2014). Ergänzend zu den Hauptkategorien (Interviewfragen) wurden aus dem Datenmaterial induktiv Subkategorien gebildet.Die differenzierte Auswertung der Aussagen hat dazu geführt, dass sehr viele Subkategorien vergeben werden konnten. Diese wurden am Ende in vier Hauptkategorien zusammengeführt. Aufgrund der thematischen Vielfalt und der inhaltlichen Tiefe wurden die Subkategorien auf bis zu drei Ebenen angelegt. Dadurch konnte eine inhaltliche Sortierung der Gesprächsinhalte und deren Gewichtung erreicht werden.

3.2 Stichprobe

Die Grundgesamtheit umfasst aktuell 60 Lehrbetriebe im ersten Arbeitsmarkt. Wir setzten zur Ziehung der Stichprobe für die Gruppen- und Einzelinterviews (n=20) ein kriteriengeleitetes Verfahren ein, das Repräsentativität bezogen auf bestimmte Merkmale der Befragten definiert. Folgende Kriterien waren leitend: Berufsfeld bzw. Branche, Betriebsgröβe, Ausbildungsangebot, Ausbildungserfahrung, Beeinträchtigung bzw. Förderbedarf der Auszubildenden. Für die explorative Analyse war es uns wichtig, eine Stichprobe zu ziehen, die bezogen auf ein Kriterium eine möglichst groβe Vielfalt abbildet (Tabelle 1). Demgegenüber war das Angebot der Supported Education dasselbe für alle Betriebe. Diesen Aspekt in der Studie kontrollieren zu können, ist vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Modelle wichtig. Die Betriebe wurden für die freiwillige Teilnahme an der Studie telefonisch angefragt.

Drei Viertel der Berufsbildenden in der Studie kommen aus Kleinst- und Kleinbetrieben. Das ist nicht überraschend, da dieser Gruppe über 60% aller ausbildenden Betriebe in der Schweiz angehören. Die Berufsbildenden kommen aus unterschiedlichen Branchen (Detailhandel, Elektro, Dienstleistung, Verkauf, Baugewerbe, Gastronomie, Hotellerie, Technik/Hauswartung, Logistik) und bieten verschiedene Ausbildungsformen an.

Tabelle 1:        Stichprobe der Gruppeninterviews entlang der Kriterien (n=15)

Betriebsgröβe Ausbildungsform
(mikro/klein/mittel/groβ)  
1-9 10-49 50-249 >250 PrA EBA EFZ

6

40%

5

33.3%

2

13.3%

2

13.3%

9

60%

5

33.3%

1

6.6%

Berufsfelder: Detailhandel (2), Logistik (4), Coiffeur (2), Metallbau (1), Maler (1); Verkauf (1), Gastronomie (1), Hotellerie/Hausdienst (1), Haustechnik/Betriebsunterhalt (2)
Auszubildende: Beeinträchtigung/Diagnose im Bereich… (Mehrfachantworten)
Epilepsie Trisomie 21 Kognition Psyche Lernen Motorik ADHS
3 (17.6%) 1 (5.9%) 4 (23.5) 1 (5.9) 3 (17.6) 3 (17.6%) 2 (11.8%)

60% der Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf absolvieren eine Praktische Ausbildung, ein Drittel eine zweijährige Grundbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) und die wenigsten (6.6%) eine dreijährige Grundbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ). Über 60% dieser Jugendlichen weisen Beeinträchtigungen auf, die das Lernen und die Konzentration erschweren (kognitive/psychische Beeinträchtigung, Lernschwierigkeiten, ADHS, Trisomie 21), etwas mehr als ein Drittel der Jugendlichen weisen gesundheitliche oder motorische Beeinträchtigungen auf. In der Stichprobe finden sich keine Zusammenhänge zwischen Beeinträchtigung der Auszubildenden und Berufsfeld. Bevor wir ins Gespräch einstiegen, wurden die Berufsbildenden gebeten, die Qualität der aktuellen Ausbildungssituation im Betrieb entlang einer sechsstufigen Skala einzuordnen (1=sehr gut/6=überfordernd). Die Hälfte der Befragten schätzte die aktuelle Situation „gut“ ein, ein Viertel sogar „sehr gut“. Ein Viertel der Befragten beurteilte diese „nicht so gut“ bzw. als „sehr schwierig“ oder „überfordernd“.

4 Ergebnisse

4.1 Gewichtung der Themen durch die Befragten

Eine quantifzierende Darstellung der Ergebnisse zeigt, dass sich sämtliche Gespräche schwerpunktmäβig um das Spannungsfeld zwischen Gelingensbedingungen und Herausforderungen des untersuchten Ausbildungssystems gedreht haben (Tabelle 2). Daraus kann gefolgert werden, dass diese Themen für die Berufsbildenden in ihrer Arbeit von besonderer Bedeutung sind. Es wurde intensiv über das diskutiert, was gut läuft in der Ausbildung und darüber, was es dafür braucht. Die Aussagen der Berufsbildenden dazu waren sehr differenziert. In den folgenden Kapiteln werden Ergebnisse aus diesen beiden Themenfeldern berichtet.

Tabelle 2:     Anzahl Nennungen (NE) pro Hauptkategorie

Kategorie Anzahl Nennungen (NE) / Prozent. Anteil (%)
Ausbildungsbereitschaft   87 NE / 8.3%
Gelingensbedingungen 524 NE / 49.8%
Herausforderungen 366 NE / 34.8%
Grenzen   76 NE / 7.2%

4.2 Gelingensbedingungen inklusiver Berufsbildung

Drei Viertel der Bedingungen, die zum Gelingen einer Ausbildung unter erschwerten Bedingungen beitragen, bezieht sich auf die Gestaltung der Ausbildung (233 NE) und auf die Voraussetzungen im Betrieb (129 NE). Das Job-Coaching, eine wirksame und individuell angepasste Begleitung, und die professionelle Unterstützung und Übernahme der Verantwortung des Ausbildungspartners (59 NE) sowie die Voraussetzungen der Lernenden (50 NE) und die Haltung der Gesellschaft in Bezug auf die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung (13 NE) machen ein weiteres Viertel der Bedingungen aus (Abbildung 1). Im Folgenden wird auf die Kernbereiche näher eingegangen, die die alltägliche Ausbildungssituation direkt betreffen.

Abbildung 1: Gelingensbedingungen inklusiver BerufsbildungAbbildung 1: Gelingensbedingungen inklusiver Berufsbildung

4.2.1 Ausbildungsgestaltung

Die Gestaltung der Ausbildung hat den größten Einfluss auf das Gelingen. Dabei haben einige wenige Maβnahmen eine groβe Wirkung auf den Ausbildungserfolg. Es sind dies aus Sicht der Befragten individualisierende Maβnahmen, die Pädagogische Affinität der Berufsbildenden und das Empowerment der Jugendlichen. Diese Themen wurden mit hoher Intensität diskutiert und umfassen zwei Drittel aller genannten Aspekte. Ein weiteres Drittel umfasst Maβnahmen der Organisation und Planung, die Klärung von Erwartungen und Anforderungen sowie das fachlich-pädagogische Geschick der Berufsbildenden. Im Folgenden werden die qualitativen Facetten dieser Bereiche differenzierter dargestellt:

Individualisierenden Maβnahmen (61 NE) stellen die größte Gruppe dieser Subkategorie dar. Neben konkreten Hinweisen auf ein individualisiertes Ausbildungsprogramm (20 NE), das dem Potenzial der Jugendlichen entspricht und dem Entwickeln von Hilfsmitteln (9 NE), kommt in dieser Subkategorie sehr gut zum Ausdruck, dass sich die Berufsbildenden bewusst sind, dass eine realistische Anforderungshaltung der Betriebe an sich eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Ausbildung darstellt. Realistische Zielvorgaben (8 NE), lösbare Aufgaben (9 NE) und Erwartungen den Lernenden anzupassen (11 NE) zeugen von diesem Bewusstsein. Als Vignette (a) dient hier ein Schweizer Unternehmen, das einen 21-jährigen Jugendlichen auf der betriebsinternen Poststelle zum Logistiker PrA ausbildet. Die Ausbildner waren bereit, eingespielte Arbeitsabläufe und gefestigte Strukturen so zu modifizieren, dass der Lernende den Arbeitsablauf nachvollziehen kann. Als Beispiel diente die Beschriftung der Postfächer. Da der Lehrling mit den betriebsinternen Kürzeln, welche aus drei Ziffern und drei Buchstaben bestehen, überfordert war, wurden die Postfächer mit den Namen der Mitarbeitenden beschriftet, wodurch der Jugendliche die Post ohne Probleme zuordnen konnte.

Pädagogische Affinität (52 NE), eine Kategorie, die sich auf Aussagen von Berufsbildenden bezieht, die Themen wie Beziehung, Motivation, Wertschätzung und Kommunikation betreffen. Im Besonderen geht es um die Gestaltung einer positiven Beziehung zu den Jugendlichen (16 NE), um das Aufbringen von Geduld in Ausbildungsprozessen, die nicht immer nach Plan verlaufen (12 NE), um die Fähigkeit über Kommunikation und Feedback positiv in Kontakt zu bleiben (13 NE), aber auch um Interesse für den Jugendlichen und Motivation (5 NE) sowie eine positive Haltung gegenüber der Ausbildungssituation (5 NE). Beim fachlich-pädagogische Geschick (18 NE) wird demgegenüber dem Erklären der Arbeitsabläufe und dem Fördern des Verständnisses für die Abläufe eine elementare Bedeutung beigemessen (11 NE).

Empowerment (47 NE) fasst sämtliche Aussagen zusammen, die die Jugendlichen in ihrer Entwicklung positiv unterstützen. Dazu gehören u.°a. ein motivierendes Klima schaffen (12 NE) sowie der Aufbau von überfachlichen Kompetenzen (14 NE). Der Begriff Fehlertoleranz mit 10 NE spielt hier eine zentrale Rolle, da das Bewusstsein der Jugendlichen, dass Fehler im Ausbildungsprozess toleriert werden, ein wichtiger Faktor zur Stärkung des Selbstkonzepts sein kann. Als Vignette (b) dient hier ein Groβbetrieb, der einer Lernenden die Verantwortung zur Bewirtschaftung eines Teils der Molkereiabteilung übertragen hat. Innerhalb dieses überschaubaren Rahmens konnte die Lernende wichtige Erfahrungen sammeln. Als ihr dabei ein Fehler unterlaufen ist, wurde ihr in einem Gespräch aufgezeigt, wo der Fehler passiert ist, welche Auswirkungen damit verbunden sind und wie der Fehler in Zukunft vermieden werden kann.

Neben den genannten Bereichen, die die Bereitschaft der Betriebe betreffen, den individuellen Bedürfnissen der Jugendlichen mit konkreten Maβnahmen zu begegnen, weisen die Aussagen der Berufsbildenden auch darauf hin, dass eine gelingende Ausbildung ein gegenseitiges Geben und Nehmen darstellt. Die Aussagen zu Erwartungen und Anforderungen (24 NE) drücken die Erwartungshaltung der Betriebe gegenüber den Jugendlichen aus, indem die Berufsbildenden beispielsweise Leistung (4 NE) und das Einhalten von Regeln und Vorschriften (3 NE) einfordern und die Arbeit der Lernenden kontrollieren (5 NE). Zudem wollen sie die Fähigkeiten der Jugendlichen durch anspruchsvolle Aufgaben (5 NE) erweitern und diese nicht zu fest schonen (2 NE). Als Vignette (c) dient das Beispiel der Staplerprüfung, die im Rahmen des Qualifikationsverfahrens einer PrA als Voraussetzung für den erfolgreichen Ausbildungslauf definiert wurde. Nachdem der Lernende die Staplerprüfung nicht bestanden hat, haben die Verantwortlichen den Lernenden mit einem Mitarbeitenden, der als Staplerinstruktor tätig ist, üben lassen, so dass er die Prüfung im zweiten Anlauf geschafft hat.

Die Organisation und Planung (31 NE) der Ausbildung stellt gemäβ den Berufsbildenden eine wichtige Gelingensbedingung dar. Das wesentliche Merkmal dieser Kategorie ist, dass sämtliche Aussagen darauf abzielen, den Lernenden eine klare Ausbildungsstruktur mit nachvollziehbaren Lernschritten (9 NE) zu bieten. „Ja, wir selber haben auch bestimmte Sachen umstellen müssen, damit es ihm leichter fiel, die Sache zu verstehen“ (1/SU,KN_56). Erreicht wird dieses Ziel u. a. durch klare (2 NE) und dokumentierte (2 NE) Abläufe, das Erteilen von klaren Aufträgen (3 NE) und Abwechslung im Arbeitsalltag (2 NE).

4.2.2 Betriebliche Voraussetzungen

Im Ausbildungsbetrieb findet der größte Teil der Ausbildung statt. Die betrieblichen Voraussetzungen sind wesentlich, wenn es um gelingende Ausbildungsprozesse geht. Ein Viertel aller Aussagen der Berufsbildenden hat sich auf diesen Aspekt bezogen. Die betrieblichen Ressourcen stellen das integrierende Grundkapital der Ausbildungsbetriebe dar, weil das untersuchte Ausbildungsformat auf zusätzliche betriebliche Ressourcen und pädagogisch versierte Berufsbildende angewiesen ist. Die betrieblichen Ressourcen, die Mitarbeitenden und die betriebliche Ausbildungskompetenz bildeten die Kernaspekte der Diskussion.

Betriebliche Ressourcen (53 NE) beziehen sich auf zeitliche (16 NE) und fachliche (14 NE) Ressourcen, die Berufsbildende haben müssen, um eine professionelle Lehrlingsbetreuung (5 NE) und wiederkehrende Erklärungen sowie Routine (10 NE) zu gewährleisten. Dafür muss den Lernenden genügend Zeit und Raum zum Üben zur Verfügung gestellt werden (8 NE): „Also am Anfang hat es sehr viel Zeit und Geduld gebraucht, und ich meine, das kann auch nicht jeder Betrieb, das konnten wir vielleicht, aber in einem Produktionsbetrieb wird es wahrscheinlich schwierig sein. (…). Oder auch das ganze Team, weil es ist nicht so extrem abhängig gewesen ist, ob man das um 11 Uhr oder um 11.15 Uhr macht …“ (1/SE,RÜ_35)

Das besondere an Ausbildungen, die unter erschwerten Bedingungen stattfinden ist, dass alle Mitarbeitenden in einem Betrieb direkt oder indirekt davon betroffen sind. Daher ist eine klare Kommunikation unerlässlich. Die Mitarbeitenden müssen darüber informiert werden (4 NE), um welche Ausbildung es sich handelt und welche Anforderungen an die Auszubildenden gestellt werden können (2 NE), sie müssen sozusagen ins Boot geholt (4 NE) und zur Mithilfe (4 NE) gebracht werden. Als Vignette (d) dient hier das Beispiel eines Logistikzentrums eines groβen Detailhandelsunternehmens. Dort absolviert ein Jugendlicher eine PrA Logistik. Aufgrund der Aussagen der beiden verantwortlichen Praxisbildner waren mehrere Faktoren für den positiven Ausbildungsverlauf verantwortlich. Als erstes mussten sich die Mitarbeitenden von der Vorstellung lösen, dass es sich um eine standardisierte EFZ- oder EBA-Ausbildung handelt. Die Mitarbeitenden mussten in mehreren Gesprächen über das Ausbildungskonzept und die Ziele informiert werden.

Neben den betrieblichen Voraussetzungen messen die Berufsbildenden der betrieblichen Ausbildungskompetenz eine groβe Bedeutung zu (22 NE). Diese Subkategorie vereint mehrheitlich Einzelmeldungen, die tendenziell den Umgang mit der ungewohnten und erschwerten Ausbildungssituation betreffen. Die Bereitschaft zur Weiterbildung, offene Kommunikation, der Abbau von Berührungsängsten und Hemmungen sowie ein normaler Umgang mit den Betroffenen werden als wertvoll erachtet. In diesem Zusammenhang spielt auch die Haltung des Betriebs eine Rolle, die durch das Vorhandensein einer sozialen Ader (6 NE), positiver Erfahrungen mit Lernenden (2 NE) oder durch die betriebliche Motivation, die Ausbildung erfolgreich zu gestalten, geprägt ist (2 NE). Weiter braucht es die Bereitschaft, in die Ausbildung zu investieren (4 NE), die Bereitschaft, Neuland zu betreten (3 NE) sowie das Bewusstsein, was die Ausbildung für den Betrieb konkret bedeutet (2 NE). Als Vignette (e) dient hier das Beispiel aus einem groβen Unternehmen. Als wesentliches Merkmal fällt auf, dass die beiden Berufsbildner überzeugt hinter dem Ausbildungskonzept stehen, dass sie aber auch erkannt haben, dass die gesamte Abteilung die Herausforderung mittragen muss. Bevor das Vertragsverhältnis zustande kam, wurde die Angelegenheit innerhalb der Abteilung diskutiert und die Zustimmung aller Mitarbeitenden angestrebt. Als nächsten Schritt haben sich die Verantwortlichen in einem Kurs weitergebildet, um über das erforderliche Know-how im Umgang mit der erschwerten Ausbildungssituation zu verfügen.

4.2.3 Voraussetzungen der Lernenden

Auch personenbezogene Faktoren der Lernenden (50 NE) spielen im Zusammenhang mit den Gelingensbedingungen eine Rolle. Diese können in arbeitsrelevante Aspekte (8 NE), in persönliche Ressourcen (35 NE) sowie in Aussagen zum privaten Lebensbereich (7 NE) aufgeteilt werden. Wenig überraschend stehen hier die persönlichen Ressourcen im Mittelpunkt, diese werden bestimmt durch Motivation (10 NE), Entwicklungsfähigkeit (5 NE) und Kritikfähigkeit (3 NE). Die restlichen Aussagen lassen sich unter dem Begriff positive Eigenschaften (12 NE) zusammenfassen und beinhalten unter anderem Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Freude und Interesse. Unter dem Begriff arbeitsrelevante Aspekte verstehen die Berufsbildenden die Eignung für den Beruf (2 NE) sowie die Tatsache, dass die Ausbildung aus Eigeninteresse gewählt wurde (2 NE). Der private Lebensbereich spielt gemäβ den Berufsbildenden insofern eine Rolle, dass sich die familiäre Unterstützung (5 NE) sowie eine stabile Wohnsituation (2 NE) positiv auf den Ausbildungsverlauf auswirken.

4.3 Herausforderungen inklusiver Berufsbildung

Die größten Herausforderungen entstehen gemäß den Berufsbildenden aufgrund der persönlichen Voraussetzungen der Lernenden (148 NE). Weitere Herausforderungen entstehen vor allem in schwierigen Ausbildungssituationen in der Zusammenarbeit mit dem Ausbildungspartner, wenn die Rollen und Zuständigkeiten zu wenig geklärt sind, wenn der Informationsfluss stockt, die erwartete Intensität der Begleitung zu gering ist oder die Interventionen wenig bewirken (78 NE). Auch ungünstige betriebliche Voraussetzungen (75 NE) oder schwierige Ausbildungssituationen, die viel Fingerspitzengefühl erfordern (58 NE), sind für Berufsbildende herausfordernd (Abbildung 2).

Abbildung 2: Herausforderungen inklusiver BerufsbildungAbbildung 2: Herausforderungen inklusiver Berufsbildung

Die ermittelten Kategorien sind praktisch identisch zu den Kategorien der Gelingensbedingungen, mit dem Unterschied, dass sie umgekehrt gewichtet wurden. Im Folgenden wird auf die Kernbereiche näher eingegangen, die die alltägliche Ausbildungssituation direkt betreffen.

4.3.1 Voraussetzungen der Lernenden

Das Leistungsvermögen der Jugendlichen ist eine wichtige Bezugsgröße, wenn es um Herausforderungen im Ausbildungsprozess geht. Hinzukommen das Verhalten und die Einstellung zum Beruf und zur Arbeit sowie berufsrelevante Erschwernisse, das sind Voraussetzungen, die sich auf die Arbeitsweise und die Ausübung der beruflichen Tätigkeit negativ auswirken. Diese drei Bereiche fassen annähernd 80% der Themen zusammen, die zu den Herausforderungen in diesem Bereich diskutiert wurden. Das private Umfeld, die familiären Verhältnisse und das Ausmaβ an vorhandener Unterstützung sowie gesellschaftliche Aspekte, das meint gesellschaftliche Bilder von Behinderung und entsprechende Rollenzuschreibungen können ebenfalls erschwerend wirken. Im Folgenden werden die qualitativen Facetten dieser Bereiche differenziert dargestellt:

Das Leistungsvermögen (70 NE) der Lernenden spielt in jedem Ausbildungssetting eine elementare Rolle. Gerade bei Ausbildungsformen, die an eidgenössisch anerkannte Bildungspläne mit vorgegebenen Kompetenzen gebunden sind (vgl. EBA, EFZ), gewinnt dieser Einflussfaktor zusätzlich an Bedeutung. Gemäβ den Berufsbildenden zeigen sich im Ausbildungsalltag die meisten Erschwernisse aufgrund individueller Defizite (13 NE), aufgrund von Kommunikations- und Verständnisproblemen (9 NE) sowie aufgrund eines fehlenden Fokus auf die Arbeit (5 NE). Weiter genannt werden gesundheitliche Probleme (4 NE) und unerfüllte Erwartungen des Ausbildungsbetriebs (4 NE), die zum Teil durch das geringe Arbeitstempo bedingt sind (4 NE). Faktoren, die mit je 3 Nennungen mehrfach erwähnt wurden sind: Mangelnde Allgemeinbildung, Umgang mit Druck, mangelnde Transferleistungen, Tagesform und mangelnde Selbstständigkeit.

Im Gegensatz zum Leistungsvermögen, das die Lernenden nach Ansicht der Berufsbildenden nur bedingt beeinflussen können, wurde sehr kontrovers zum Thema Verhalten und Einstellungen (27 NE) diskutiert. Es herrschte Unverständnis und Widerstand bei den Befragten in Bezug auf bestimmte Verhaltensweisen der Auszubildenden. Dies wurde als negative Empfindung spürbar und führte zu einer sehr kritischen Haltung gegenüber diesen Voraussetzungen. Bemängelt wurden vor allem fehlender Durchhaltewille (4 NE), mangelndes Selbstvertrauen (6 NE), aber auch Überheblichkeit „wissen alles schon“ (3 NE).

Als berufsrelevante Erschwernisse (21 NE) werden von den Gesprächsteilnehmenden Merkmale genannt, die entweder mit der betrieblichen und beruflichen Identifikation im Zusammenhang stehen (10 NE) oder sich bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit negativ auswirken (9 NE). Dazu gehören eine oberflächliche Arbeitsweise, mangelnde Flexibilität, fehlendes Verständnis für die Arbeitsabläufe sowie eine zu wenig überlegte und vorausschauende Arbeitsweise.

Ein weiterer wichtiger Einflussbereich ist das private Umfeld (16 NE). Erschwerend wirken hier: Schwierige familiäre Verhältnisse (4 NE), mangelnde familiäre Unterstützung (5 NE), die Wohnsituation sowie mangelndes Verantwortungsbewusstsein der Eltern (je 2 NE).

4.3.2 Betriebliche Voraussetzungen

Auf der betrieblichen Ebene werden Herausforderungen in drei Bereichen verortet (74 NE): 1) Bei der Passung zwischen Betrieb und Ausbildungssituation, 2) bei den betrieblichen Ressourcen und 3) beim Konfliktpotenzial unter Mitarbeitenden:

Die meisten Aussagen der Berufsbildenden bezogen sich auf Herausforderungen, die im Zusammenhang mit der Passung zwischen Betrieb und Ausbildungssituation entstehen (46 NE). Die Frage, ob sich der Beruf oder der Betrieb für eine Ausbildung von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf eignet, stand im Zentrum der Diskussion (14 NE). Einschränkend werden mit jeweils zwei bis drei Nennungen folgende Aspekte genannt: Druck eines Produktionsbetriebs, Herausforderungen durch direkten Kundenkontakt, zu hohe Erwartungen oder komplexe Betriebsstruktur.

Geringe Ressourcen im Betrieb führen ebenfalls zu Schwierigkeiten (16 NE). Neben zeitlichen und personellen Ressourcen (10 NE) wird vor allem seitens von Kleinstbetrieben die fehlende finanzielle Entschädigung des zusätzlichen betrieblichen Aufwands kritisiert (6 NE).

Das Konfliktpotenzial unter den Mitarbeitenden wird gemäβ den Berufsbildenden maßgeblich durch den mangelnden Informationsgrad der Mitarbeitenden (8 NE) bestimmt.

4.3.3 Ausbildungsgestaltung

Neben den betrieblichen Voraussetzungen, die gewissermaßen als Rahmenbedingungen bezeichnet werden können, entscheidet die Gestaltung der Ausbildung innerhalb des Betriebs zu einem groβen Teil mit, ob eine Ausbildung erfolgreich verläuft (58 NE):

Unter Herausforderungen in der Ausbildungssituation (24 NE) verstehen die Berufsbildenden den Balanceakt zwischen Fordern, Fördern und Schonen, der gerade in Ausbildungen von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf viel Fingerspitzengefühl erfordert. Herantasten an die Person (5 NE), Kritik richtig anbringen (4 NE) und die Balance finden (3 NE) sind hier die meistgenannten Aussagen. Sämtliche Kategorien lassen den Rückschluss zu, dass die Berufsbildenden ihre Aufgabe sehr ernst nehmen und den besonderen Herausforderungen mit Empathie, Wohlwollen aber auch mit einer gewissen Gelassenheit begegnen.

Herausforderungen im Zusammenhang mit der Durchführung und Organisation von Arbeiten (23 NE) entstehen aufgrund der mangelhaften Umsetzung von Anweisungen (9 NE). Zudem ist es für die Berufsbildenden herausfordernd, die nötige Arbeitssicherheit zu vermitteln und diese zu gewährleisten (2 NE) sowie die Arbeitsabläufe so zu strukturieren, dass sie von den Lernenden verstanden werden (2 NE). Damit verbunden ist die Schwierigkeit, den Voraussetzungen entsprechende attraktive Aufgaben zu entwickeln, um nicht nur monotone Arbeiten verrichten zu lassen (4 NE). Es braucht das Bewusstsein, dass im Ausbildungsalltag auch finanzielle oder materielle Schäden durch Lernende entstehen können (3 NE).

Die Praxisbildner (10 NE) übernehmen innerhalb groβer Ausbildungsbetriebe die Verantwortung für die Lernenden. Deren Arbeit wird dadurch erschwert, dass sie noch andere Aufgaben haben (2 NE) und bei Stellvertretungen ein groβer Informationsaufwand betrieben werden muss (3 NE). Zudem entsteht für die Praxisbildner ein administrativer Mehraufwand und sie müssen die teilweise zu hohen Erwartungen der Mitarbeitenden relativieren.

5 Zusammenfassung und Diskussion

Die Studie verfolgt das Ziel, „berufsintegrative Kompetenzen in Lehrbetrieben des ersten Arbeitsmarkts“ entlang folgender Fragestellung aufzuzeigen: „Wie gestalten Berufsbildende im ersten Arbeitsmarkt erfolgreiche Ausbildungsprozesse mit Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf, was brauchen sie dafür und welche Herausforderungen sich zeigen?“ Wie die Ergebnisse verdeutlichen, setzt sich diese Kompetenz aus der Förderung der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe, der Förderung der Ausbildungsfähigkeit der Berufsbildenden sowie der Präzisierung und Systematisierung bedarfsgerechter Unterstützung zusammen. Die Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse fokussiert auf jene Aspekte, die das integrative Potenzial des untersuchten Ausbildungsmodells thematisieren, wobei der besondere Fokus auf berufsintegrativen Kompetenzen liegt, die Berufsbildende im Ausbildungsalltag einsetzen. Wie in der Auswertung der Daten aufgezeigt werden konnte, lieferten die Gruppengespräche eine Vielzahl von Informationen, die sowohl eine groβe thematische Breite als auch eine inhaltliche Tiefe aufweisen. Dadurch sind differenzierte Aussagen zum Forschungsgegenstand möglich.

5.1 Integratives Potenzial des untersuchten Ausbildungsmodells

Die Ergebnisse der Analyse verweisen auf ein Spannungsfeld zwischen den Gelingensbedingungen und den Herausforderungen, was verdeutlicht, dass die Ausbildungspraxis von diesen beiden Themen und ihrer gegenseitigen Bezogenheit geprägt ist. Die Herausforderungen sind primär durch die Voraussetzungen der Jugendlichen bedingt. Hier liegt der Fokus ganz klar auf dem „Anderen“, was nach Reiser et al. (1986) integrative Prozesse eher erschwert. Die Gelingensbedingungen sind primär durch die Ausbildungsgestaltung und die Suche nach dem „gemeinsam Möglichen“ bestimmt, worauf auch die verschiedenen Vignetten eindrücklich hinweisen. Dieser Suchprozess braucht gemäβ den Berufsbildenden „Fingerspitzengefühl“, damit gemeint ist ein herausforderndes „Herantasten an die Person“ bei dem wichtig ist, eine „Balance“ zu finden zwischen Fordern, Fördern und Schonen (vgl. Kap. 4.3.3). Dieser Balanceakt ist von interaktionalen und personbezogenen Aspekten bestimmt. Die Analyse zeigt jedoch, dass betriebliche und umfeldbedingte Faktoren ebenfalls eine zentrale Rolle spielen.

Wesentlich für gelingende Ausbildungsprozesse sind aus Sicht der Berufsbildenden die Ausbildungsgestaltung und die betrieblichen Faktoren. Über die gesamte Analyse hinweg und durch alle qualitativen Facetten hindurch zeigt sich die Bereitschaft des Lehrbetriebs, Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf einen Ausbildungsplatz anzubieten primär als Haltungsfrage. Die Verantwortlichen im Betrieb müssen bereit sein, neue Wege zu beschreiten und strukturierte Ausbildungskonzepte der EFZ- und EBA-Ausbildungen zu verlassen sowie die Mitarbeitenden mit ins Boot zu holen. Die Berufsbildenden beschreiben diese Haltung als soziale Ader oder Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft. Neben der Haltung sollte ein Betrieb aber auch handfeste Bedingungen erfüllen, damit das Ausbildungskonzept erfolgreich umgesetzt werden kann. Die betrieblichen Ressourcen stehen hier an erster Stelle. Unter Ressourcen wird dabei verstanden, dass den Jugendlichen die erforderliche Unterstützung in Form von personeller Betreuung, Räumlichkeiten und geeigneten Aufträgen geboten werden kann. Herausforderungen entstehen dann, wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind und keine „Einigungsprozesse“ stattfinden.

Das Modell der vier „idealtypischen“ Ebenen integrativer Prozesse nach Reiser et al. (1986, 121) bestimmt Ebenen, die in Integrationsprozessen jeweils für sich und auch in Interaktion wirksam werden. Mit Blick auf die vorliegenden Ergebnisse zeigt sich, dass der ersten Ebene, d. h. der Bereitschaft und Akzeptanz eine entsprechende Ausbildung anzubieten eine zentrale Rolle zukommt (Individuelle Haltung, Einstellung, Motivation, Kompetenzen). Als nächstes wird das Commitment zur Ausbildung mit Blick auf die betriebliche Ebene und die dort vorhandenen personalen und materiellen Ressourcen bedeutsam. Diese „institutionellen Rahmenbedingungen“ werden  im genannten Modell auf der dritten Ebene im Zusammenhang mit vorhandenen Voraussetzungen, kooperativen Strukturen und Ressourcen beschrieben. In der Schweiz besteht keine Pflicht zur Ausbildung und Beschäftigung von jungen Erwachsenen mit besonderem Förderbedarf in der freien Wirtschaft. Deshalb kommt diesem freiwilligen Akt der Eingliederung der Jugendlichen mit Förderbedarf in einen regulären Betrieb ein hoher inklusiver Stellenwert zu. In der Priorisierung der Ebenen scheint sich hier ein Unterschied zum Vollzug integrativer Prozesse im Schulbereich abzuzeichnen. Möglicherweise hängt das mit der Auswahl der Jugendlichen durch den Betrieb zusammen und mit der relativen Autonomie in der Ausgestaltung der Ausbildungsprozesse. Die vierte Ebene im Modell thematisiert die gesellschaftlich-kulturellen Voraussetzungen sowie die normativen Grundlagen integrativer Prozesse. Dazu zählen gesellschaftlich geteilte Vorstellungen über Leistungen und deren Bewertung genauso wie die Verankerung inklusiver und integrativer Zielsetzungen in kantonalen Gesetzen und in der Verfassung. Die Berufsbildenden verwiesen selten, aber wenn, dann dezidiert darauf, dass die Haltung der Gesellschaft in Bezug auf die berufliche Integration und Teilhabe wichtig sei. Der stärkste Prädiktor für eine gelingende Ausbildung ist jedoch die Art und Weise wie die Ausbildung unter erschwerten Bedingungen gestaltet wird. Die interaktionelle Ebene ist die zweite und wichtigste Ebene im Modell von Reiser et al. (1986). Sie baut auf der Bereitschaft und der Haltung der beteiligten Personen auf und umfasst alle Aspekte des gemeinsamen Handelns und der Beziehungen zwischen den Beteiligten. Das Gelingen (berufs-)integrativer Prozesse entscheidet sich auf dieser Ebene wie das folgende Kapitel verdeutlicht.

5.2 Berufsintegrative Kompetenzen von Berufsbildenden

Die Fokusgespräche haben klar aufgezeigt, dass für das Gelingen einer Ausbildung von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf die Mitarbeitenden im Betrieb eine wichtige Rolle spielen. Hier legen die Berufsbildenden sehr groβen Wert auf eine klare betriebsinterne Kommunikation, wofür sie die Verantwortung übernehmen. Die Mitarbeitenden müssen über das Ausbildungskonzept informiert werden. Es muss klar kommuniziert werden, dass die Lernenden nicht mit EFZ- oder EBA Lernenden verglichen werden können, und dass die Ausbildung teilweise eine andere, den individuellen Bedürfnissen angepasste Zielsetzung verfolgt. Da im Ausbildungsalltag auch Situationen entstehen können, die für die Mitarbeitenden zu Mehraufwand oder Komplikationen führen, müssen diese zudem für einen lösungsorientierten Umgang mit möglichen Problemsituationen sensibilisiert werden. Diese Ergebnisse unterstreichen die Relevanz der Förderung der „Handlungsbereitschaft“ der Mitarbeitenden wie auch die Wichtigkeit, betriebliche Zuständigkeiten und damit Verantwortlichkeiten zu klären. Vergleichbare Elemente finden sich auch in der Konzeptualisierung von Kompetenz als Bewältigungsfähigkeit im betrieblichen Kontext (vgl. Becker/Rother 1998). Unklare Ausbildungssituationen führen zu Konfliktpotenzial unter den Mitarbeitenden und verhindern gemäβ den Berufsbildenden produktive Ausbildungsprozesse.

Die konkrete Ausbildungsgestaltung innerhalb des Lehrbetriebs bildet das Fundament jeder erfolgreichen Ausbildung. Da die Berufsbildenden zu diesem Themenbereich sehr differenzierte Aussagen mit groβer inhaltlicher Übereinstimmung gemacht haben, sind die folgenden Argumente zu erfolgsversprechenden Maβnahmen breit abgestützt. An zentraler Stelle stehen die Berufsbildenden, die durch ihre pädagogische Affinität und durch ihr fachlich-pädagogisches Geschick ein Ausbildungssetting schaffen, das sowohl die Beziehungsebene stärkt als auch die fachliche Ebene fördert.

Sämtliche Berufsbildende messen der Beziehungsebene eine groβe Bedeutung zu, diese zeichnet sich dadurch aus, dass in erster Linie ein wohlwollendes Vertrauensverhältnis aufgebaut werden muss. Auf dieser Basis können im Ausbildungsalltag Erwartungen klar formuliert und auch eingefordert sowie Grenzen gesetzt werden. Ein weiterer Aspekt der Beziehungsebene bildet die Rückmeldekultur, bei welcher Kritik und Probleme so angesprochen werden, dass das Selbstwertgefühl der Lernenden nicht daran zerbricht. Unter dem Begriff Empowerment werden jene Faktoren verstanden, die die Lernenden in ihrer Entwicklung positiv unterstützen. Neben dem Würdigen von erkennbaren Entwicklungsschritten gehören auch das Schaffen eines motivierenden Klimas, der Aufbau von überfachlichen Kompetenzen und ein förderorientierter Umgang mit Fehlern (z. B. Vignette b). Daran zeigt sich berufspädagogisches Handeln im Betrieb als situationsgebundene Aktivität, die situatives Verstehen erfordert. Situatives Verstehen wird von Breuninger/Schley (2014) als „komplexes dialogisches Geschehen von Verstehen und Verstanden werden, von Wahrnehmen und Resonanz geben, von der Schaffung lernförderlicher Atmosphären und dem Erkennen und Spiegeln von Bedürfnissen und Mustern“ beschrieben (296). Wie die Analyse zeigt, kommt dieser Fähigkeit gerade in Ausbildungsprozessen unter erschwerten Bedingungen eine wichtige Bedeutung zu. Wirksame Ressourcen für die Gestaltung unterstützender Beziehungen sind nach den Autoren Beachtung, Zutrauen, Wahrnehmen und positives Deuten, Einfühlen und Verstehen. Dafür braucht es erstens die Fähigkeit der „Bewusstheit“, das ist die Ebene der Aufmerksamkeit, des Kontakts, der Achtsamkeit und Resonanz, zweitens die Bereitschaft sich zu beteiligen, d. h. sich auf die Person und das Verstehen der Situation einzulassen und drittens braucht es die Fähigkeit, gelingend zu intervenieren. Dafür stehen in unserer Studie sowohl individualisierende Massnahmen wie auch die Organisation und Planung der Arbeit.

Da viele der befragten Berufsbildenden mit Jugendlichen arbeiten, die eine Ausbildung mit individuell festgelegten Lernzielen absolvieren ist es naheliegend, dass dieser Aspekt in den Fokusgesprächen lange diskutiert wurde. Die Berufsbildenden verstehen darunter realistische Ziele festzulegen, die von den Jugendlichen erreicht werden können sowie die Erwartungen den Jugendlichen anzupassen. Weiter müssen Hilfsmittel entwickelt und Arbeitsabläufe angepasst werden, damit die Lernenden die Arbeiten erledigen können. Damit die Lernenden die Erwartungen erfüllen können, sind sie auf eine klare Struktur im Ausbildungsalltag angewiesen. Diese Struktur beruht auf klar formulierten Arbeitsaufträgen die den Jugendlichen auch erklärt werden. Für einen nachhaltigen Lernprozess müssen die Jugendlichen verstehen, weshalb sie einen Auftrag auf eine bestimmte Weise erledigen sollen. Weiter ist es hilfreich, wenn die Jugendlichen im Alltag auf Routinen zurückgreifen können, die auf festen Arbeitsabläufen und dokumentierten Lernschritten beruhen. Ein gutes Instrument ist beispielsweise die persönliche Arbeitsdokumentation. Auch wenn das Erstellen der Einträge mit großem Engagement und viel zeitlichem Aufwand verbunden ist, hilft diese Methode, die Arbeitsabläufe nachzuvollziehen und zu verinnerlichen. Mit Blick auf diese Kompetenzfacetten wird klar, dass die Berufsbildenden im Ausbildungsalltag primär auf berufsbildungsspezifische und betriebsspezifische Kompetenzen (vgl. Heinzer et al. 2013) zurückgreifen, um die erforderliche Adaptivität und Passung im Ausbildungsprozesse zu erreichen. Gerade in qualifizierenden Ausbildungen (EBA/EFZ), die unter erschwerten Bedingungen stattfinden, entsteht das antizipierte Spannungsfeld zwischen zu erreichenden Qualifikationen (Ausbildungsstandard) und dem Unterstützungsbedarf der Jugendlichen (vgl. Kap. 2.1). Darauf verweisen auch die genannten Herausforderungen wie z. B. „mangelhafte Umsetzung von Anweisungen“. In der Praktischen Ausbildung (PrA) besteht die Herausforderung darin, Lernziele zu definieren, die für die Jugendlichen eine Heraus-, und keine Überforderung darstellen und die Möglichkeit bieten, an eine EBA anzuschließen.

Abschließend und mit Bezug auf die Fragestellung lässt sich festhalten, dass Ausbildungsverhältnisse unter erschwerten Bedingungen dann zur Herausforderung werden, wenn es nicht gelingt, die Ausbildungsgestaltung und die betrieblichen Voraussetzungen mit den persönlichen Ressourcen und Voraussetzungen der Jugendlichen i. S. integrativer Prozesse produktiv zu verbinden. Es wird deutlich, wie die Wechselwirkung zwischen klar definierten Zielen und Erwartungen, ausreichenden betrieblichen Ressourcen, pädagogischem Geschick und dem konstruktiven Umgang mit Fehlern erfolgreiche Lernprozesse ermöglicht. Berufsbildende brauchen ausgeprägte berufsbildungsspezifische Kompetenzen sowie betriebliche Rahmenbedingungen, die ihr Vorhaben unterstützen. Die Mitarbeitenden sind für Berufsbildende die wichtigste soziale Ressource im Betrieb. Erfolgreiches ausbildungsbezogenes Handeln fokussiert in diesem Sinne nicht nur auf die Förderung und Unterstützung der Auszubildenden, sondern ebenso auf die Schaffung eines förderlichen sozialen Systems.

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Zitieren des Beitrags

Pool-Maag, S./Jäger, R. (2016): Inklusive Berufsbildung unter besonderer Berücksichtigung berufsintegrativer Kompetenzen von Ausbildenden in Lehrbetrieben des ersten Arbeitsmarkts. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 30, 1-21. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe30/pool_maag_jaeger_bwpat30.pdf (24-06-2016).